von Gastautor

Bauunternehmen verschwenden zu viel Zeit

Gastautor Christoph Blepp legt dar, wie die Bauwirtschaft in Krisenzeiten durch Digitalisierung und Innovationen ihre Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhält

Die Baubranche befindet sich in einer schwierigen Zeit: Fachkräfte- und Ressourcenmangel sowie schleppender Fortschritt in der Digitalisierung stellen die größten Hürden der Branche dar. Die Digitalisierung von Prozessen, optimierte Bauansätze und Unternehmenszusammenschlüsse haben das Potenzial, die Wettbewerbsfähigkeit der Branche zu erhalten. Ein Blick in die Auftragsbücher der deutschen Bauwirtschaft zeigt eines deutlich: Die Nachfrage übersteigt das Angebot. Getrieben wird diese Entwicklung vom hohen Sanierungsbedarf durch die ambitionierten Klimaziele der Ampel-Koalition und dem Ziel, mit 400.000 Wohnungen pro Jahr den akuten Wohnungsmangel in Deutschland zu bekämpfen. Allerdings wird dieser Trend auch durch Personalmangel und akute Materialknappheit, bedingt durch gestörte Lieferketten, gebremst. Hinzu kommen der Krieg in der Ukraine und seine Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft und den Arbeitsmarkt sowie die erhöhte Komplexität moderner Gebäude, die Bauunternehmen ganz neue Fähigkeitsprofile abverlangen.

Fachkräftemangel als Dauerzustand
In den letzten Jahren ist das Thema Materialknappheit und damit steigende Preise stark in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Eine Entwicklung, die durch aktuelle Krisenereignisse noch mal deutlich an Fahrt aufgenommen hat. Die steigenden Materialkosten können derzeit noch an Bauherren weitergegeben werden. Viele Unternehmen versehen zudem ihre Verträge mit entsprechenden Fixpreisen, um bei Marktschwankungen einem geringeren Risiko ausgesetzt zu sein. Langfristig ist davon auszugehen, dass sich alle Beteiligten den Gegebenheiten anpassen und vom risikobewussten Vertragswerk bis hin zur krisenfesten Lieferkette Lösungen gefunden werden. Die weit größere Herausforderung wird der Fachkräftemangel sein. Hier zeigen sich die Spuren des demografischen Wandels: Weniger junge Mitarbeiter rücken nach, während die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. Und im Gegensatz zu angespannten Rohstoffmärkten, die sich auch wieder erholen können, ist hier bereits abzusehen, dass sich dieser Wandel fortsetzen wird. Die Baubranche sieht sich hierdurch unter Druck. Denn wer soll angesichts des Auftragsbooms all die neuen Projekte umsetzen.

Effizienz muss gesteigert werden
Das klingt erst mal nach einer schwarzen Zukunft und wirft die Frage auf, wie die Branche entlastet werden kann. Schnell beantwortet: Die Effizienz im gesamten Bauprozess muss gesteigert werden. Eine Entbürokratisierung der Auftragsvergabe, der vermehrte Einsatz von Modulbauweise sowie digitale Prozesse könnten dabei wichtige erste Schritte sein. Auch wenn die Lösung einfach erscheint, erfordert ihre Umsetzung eine umfassende Umstrukturierung der Branche und die ist äußerst komplex. Innovative Bautechnologien können die Preise senken und den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften verringern. Die Vorfertigung von Bauelementen kann dazu beitragen, den Bauprozess zu industrialisieren. Dies senkt die Kosten und hat weitere Vorteile, wie die Möglichkeit, saisonale Abhängigkeiten und den Bedarf an „Manpower“ zu reduzieren. Natürlich wird es einige Zeit dauern, bis Bauherren neue modulare Ideen annehmen und entsprechende Aufträge erteilen. Dennoch werden auch sie angesichts der zu erwartenden Preisentwicklungen die Vorteile dieser Bauweise erkennen. Die neue Art zu bauen wird zwar einiges vereinfachen, aber auch andere Aufgabenfelder komplexer machen. Die Anforderungen an die Bauunternehmen werden sich durch diese Entwicklung verändern. Sie werden in Zukunft eine Vielzahl von Dienstleistungen anbieten und über Mitarbeiter verfügen müssen, die der steigenden Komplexität der Aufgaben gewachsen sind. Die Heizungsbranche ist ein gutes Beispiel dafür. Moderne Wärmepumpensysteme, wie sie derzeit im politischen Berlin viel diskutiert werden, erfordern Kenntnisse in einer Reihe von Bereichen, einschließlich Batterietechnologie und Photovoltaik. Während sich das Service-Spektrum eines Heizungsbauers früher fast vollständig auf Installation, Reparatur und Wartung beschränkte. Wenn jetzt ab 2024 vermehrt Wärmepumpen und keine Gasheizungen verbaut werden sollen, wird sich dieser Trend noch einmal massiv beschleunigen. Der zukünftige Grundsatz wird lauten: Wer die maximale Produktivität pro Mitarbeiter sicherstellen kann, ist im Vorteil. In Zeiten wie diesen muss man Kräfte bündeln. So werden auch gezielte Fusionen und Übernahmen von Unternehmen attraktiver. Hier gilt es abzuwägen, was für die eigenen Ziele hilfreich ist und mit welchem Partner die notwendigen Effizienzsteigerungen erreicht werden können.

Mehr Digitalisierung ist notwendig
Die Notwendigkeit der weiteren Digitalisierung von Prozessen ist nach der Effizienzsteigerung im Bauprozess selbst der zweite zentrale Ansatzpunkt. Zunächst müssen die Geschäftsprozesse selbst digitaler werden. Das bedeutet, dass sie schnittstellenfrei und papierlos werden. Denn Unternehmen verschwenden bis zu einem Drittel ihrer Zeit mit Bürokratie und Projektplanung. Im Umkehrschluss heißt das, dass diese Zeit nicht für den eigentlichen Bau genutzt wird. Des Weiteren kann die Produktivität dank moderner Technologien wie BIM, also der Arbeit mit einem digitalen Zwilling des Gebäudes, gesteigert werden. Dies gilt sowohl während der Projektplanung als auch später bei der Inbetriebnahme und Wartung. Einmal mehr wird es entscheidend sein, zu überlegen, wie diese neuen Technologien eingesetzt werden können, um die Bedürfnisse der Kunden erfolgreich und mit minimalem Ressourceneinsatz zu erfüllen.

Als letzter Punkt ist die Politik gefragt: Sie muss das Vergaberecht deregulieren. Die derzeit strikte Trennung der Gewerke wird durch kleinteilige Ausschreibungsverfahren begünstigt. Teilaufträge müssen entsprechend parallel bearbeitet werden, da in der Regel nicht alle Leistungen von einem einzigen Anbieter erbracht werden können. Dadurch werden Bauprojekte nicht als Ganzes betrachtet, sondern zerfallen in Abläufe mit zahlreichen einzelnen Strängen mit komplexen Anforderungen. Dadurch bremst die aktuelle Praxis die Effizienz der Branche. Wie unser Beispiel des modernen Heizungsbauers zeigt, wird sich dieser Trend noch verschärfen.

Verbände sind auch gefordert
Deregulierung ist einer der entscheidendsten Faktoren zur Effizienzsteigerung im Bauwesen und zur Gewinnung von Kapazitäten. Doch Forderungen nach Deregulierung in Richtung Politik sind leicht gestellt. Um eben diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, sind auch die Branchenverbände gefragt. Diese haben bisher zum bestehenden Rechtssystem beigetragen, indem sie als Vertreter für die Interessen ihrer verschiedenen Gewerke fungiert haben. Dies ist zwar im Kern die Aufgabe von Verbänden, führt aber in der Praxis zu mehr Komplexität und eben jener effizienzfeindlichen Fragmentierung der Baubranche. Unternehmen, Gewerke und Verbände müssen nun zusammenarbeiten und Synergien finden. Dies ermöglicht die Etablierung und schließlich die Einführung anspruchsvoller digitaler Technologien mit erheblichem Optimierungspotenzial in den regulären Baubetrieb. Größere Generalunternehmer könnten ganze Prozesse von der Produktentstehung bis zum Einbau auf der Baustelle verschlanken und optimieren und so ihre Kosten nachhaltig senken, indem sie alle Phasen der Wertschöpfungskette unter ein Dach bringen.

Zum Autor
Christoph Blepp (Foto: s &B Strategy)  ist Gründungspartner der S&B Strategy GmbH und verantwortet den Bereich Strategieentwicklung und -umsetzung.

von Gastautor

Erschienen in Ausgabe: Oktober2022 | Seite 10

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