von Tizian Meieranz-Nemeth
Bollinger baut Elektro-Offroader für Baustellen
US-amerikanische Start-up stellt mit Modellen B1 und B2 reine Elektrofahrzeuge für den schweren Einsatz vor
Wer den B1 oder B2 von Bollinger Motors sieht, denkt erst mal nicht an ein Elektrofahrzeug. Er erinnert an Jeep und Land Rover, Minimalgefährte ohne Fahrassistenten und Airbags, dafür mit maximalem Nutzwert. In dem Fall sogar mit einem gigantischen Kofferraumvolumen. Die Amerikaner nennen diese Art schlicht und einfach „no-nonsense“.
Die US-amerikanische Firma Bollinger Motors ist ein klassisches Start-Up – inklusive Hund. Das 23-köpfige Kernteam um den Gründer Robert Bollinger hat ein ehrgeiziges Projekt. Mit ihrer Kleinserienfertigung zielen sie ganz offen auf den Markt für Geländewagen und besetzen mit den rein elektrisch betriebenen Fahrzeugen innerhalb des Segments ihre Nische. Gerade im Land der kraftmeierischen Verbrennungsmotoren muten sie wie ein Einhorn an. Rein optisch sprechen sie mit dem viertürigen Station Wagon und der Pick-Up-Version – beide mit langem Radstand – die große Offroad-Fangemeinde an. Die Ähnlichkeit zu existierenden Offroad-Fahrzeugen entsteht von selbst, wenn man einen Blick auf die wuchtigen Formen wirft. Ebenfalls typisch für diese Art sind abnehmbare Karosserieteile. Bei B1 und B2 kann man Türoberteile, die ganzen Türen und das Dach in Form von Segmenten (ähnlich wie beim Jeep Wrangler Liberty) einfach abnehmen und in der Garage lassen.
Bollinger-Allrad: Auf jeder Achse läuft ein Motor
Anders als Fahrzeughersteller mit bestehender Modellpalette konnte das Start-Up beim Antrieb konsequenter vorgehen: Für den Allradantrieb sorgen je ein Elektromotor an jeder Achse. Damit sparen sich die Erbauer gleichsam Übertragungswellen und Endantriebe. Da beide Motoren auf Achshöhe liegen, bieten beide Modelle einen vorderen Kofferraum mit einer Durchlademöglichkeit über die gesamte Fahrzeuglänge. Beim B2 sind das annähernd fünf Meter, beim B1 immerhin vier Meter bei geschlossener Heckklappe. Damit werden beide Modelle auch für Einsätze als Transporter auf Baustellen zusätzlich interessant.
Als ebenfalls baustellentauglich erweisen sich die Bremsscheibe und Bremssattel, die direkt am Rahmen montiert sind. Dadurch sind die Bremsen besser vor Schlamm und Staub geschützt und gleichzeitig verringert sich die ungefederte Masse. Die Federung selbst kommt ohne elastische Konstruktionsteile aus und nutzt stattdessen Gaspolster. Zur Bewegungsübertragung und zur Schwingungsdämpfung wird Öl verwendet. Es ist eine Hydropneumatik, ähnlich der, die Citroën erstmals 1955 einsetzte. Wie bei den französischen Autos kann der Fahrer im B die Bodenfreiheit regulieren. Der Verzicht auf Stahlfedern bietet zudem deutliche Gewichts- und Raumvorteile. Für Offroad-Enthusiasten ebenfalls wichtig: Die Bollinger-Fahrzeuge haben eine üppige Bodenfreiheit von 38 Zentimeter, die sich dank der Hydropneumatik zwischen 25,4 und zirka 51 Zentimeter einstellen lassen. Für den Kontakt zur Straße sorgen serienmäßig Reifen vom Typ 285/70 R17.
Ab 2021 liefert Bollinger die ersten Fahrzeuge aus
Angetrieben werden die vier einzeln aufgehängten Räder laut Bollinger durch insgesamt 458 Kilowatt oder umgerechnet 614 PS bei über 905 Newtonmetern. Der Strom für so viel Leistung kommt aus den Batterien mit 120 Kilowattstunden. Die sollen laut EPA-Fahrzyklus eine Reichweite von 320 Kilometern ermöglichen. An einem Schnellladegerät über einen CCS Stecker soll die Ladedauer bei 100 Kilowatt rund 75 Minuten betragen, an einer gewöhnlichen Haushaltssteckdose gute zehn Stunden. Derzeit arbeite man schon an einer Ladeleistung von 150 Kilowatt, erklärt der Hersteller. Innovativ ist auch die Verteilung von insgesamt zehn Steckdosen rund um das Auto. Dank eines 15 Kilowatt Inverters können so Arbeitsgeräte mit 110 oder 220 Volt direkt am Auto mit Strom versorgt werden - ein Traum für Handwerker. Der rund 2,2 Tonnen schwere Bollinger misst als B2 5,3 Meter und als B1 4,4 Meter. Der Radstand beträgt 3,5 Meter beim B2 und drei Meter beim B1.
Zum Lastesel wird der Bollinger durch die 3.400 Kilogramm Anhängelast, die Zuladung liegt beim B1 bei 2.268 Kilogramm und bei 2.359 Kilogramm beim B2. Der vordere Kofferraum beider Modelle bietet 396 Liter Ladevolumen. Für 125.000 Dollar soll der Bollinger in den USA bereits vorbestellbar, eine Reservierungsgebühr von 1.000 Dollar vorausgesetzt. Die Produktion beginnt 2020, die ersten Lieferungen sind für 2021 geplant. Klima- und Hifi-Anlage gibt es optional, auch eine Winde hinter der vorderen Stoßstange. Airbags gehören nicht zum Lieferumfang.
Foto: Bollinger
von Tizian Meieranz-Nemeth
Erschienen in Ausgabe: Februar 2020 | Seite 19