Betonbau - von Redaktion
Künstlerische Sichtbetonskulptur
Westag-Schalhaut für Decken und Sichtbetonwände
Rheda-Wiedenbrück – In Berlin-Mitte, nördlich des Hauptbahnhofs, verdichtet sich das Areal Europacity zunehmend mit dominierenden Sichtbetonbauten und filigranen Fassaden. Ein Beispiel dafür ist die deutsche Firmenzentrale des französischen Mineralölkonzerns Total, errichtet 2012 nach Plänen des Büros Barkow Leibinger Architekten. Eine weitere interessante Fassade entsteht im Bereich Am Hamburger Bahnhof (vormals Kunst-Campus) an der künftigen Uferpromenade des Spandauer Schifffahrtskanals. Ernst Basler + Partner lässt dort ein Geschäftshaus aus Stahlbeton mit hohem Sichtbetonanteil bauen. Bei beiden Bauwerken prägt das Schalungsmaterial der Westag & Getalit AG die Ansichtsflächen und somit deren Wirkung.
Nach Fertigstellung im Herbst 2016 wird der Bauherr es teilweise selber nutzen, aber auch Büro- und Gastronomieflächen vermieten.
Dem Neubauprojekt von Ernst Basler + Partner kommt besondere Bedeutung zu. Es wird als Niedrigenergiehaus nach den Prinzipien des nachhaltigen Bauens realisiert und soll eine Zertifizierung gemäß den „Gold“-Anforderungen des deutschen Gütesiegels für nachhaltiges Bauen (DGNB) erreichen. Die Vorzertifizierung nach Goldstandard ist bereits erfolgt. Ernst Basler + Partner ist ein Schweizer Unternehmen, das in den Bereichen Planung, Beratung, Bau, Informatik und Kommunikation international tätig ist.
Die Schweizer Architekten Miller & Maranta entwarfen den Bau. Ihre Pläne überzeugten die Jury, wie es hieß durch eine „subtile Interpretation der Dualität von Wasser- und Platzseite“. Die Ausschreibung des bauleitenden Büros BAL für das Gewerk Rohbau gewann das süddeutsche Bauunternehmen Dechant Hoch- und Ingenieurbau GmbH (dhib). Es kann auf mehr als 130 Jahre Erfahrung in der Baubranche zurückblicken und hat sich als eines der führenden Experten-Teams in Sachen Sichtbeton etabliert. Die Architekten: „Der architektonische, von Sichtbeton geprägte Ausdruck des neuen Bürohauses versucht eine starke Identität zu schaffen, welche zwischen den unterschiedlichen umgebenden Stadtstrukturen vermitteln kann. Das Gebäude öffnet sich als feingliedrig gestaltetes Volumen zur Stadt hin und wird zu einem ausstrahlenden Bau mit einer starken Präsenz. Die markanten Sichtbetonflächenbereiche in Kombination mit den großflächig verglasten Geschossen unterstützen die Öffentlichkeit des Gebäudes.“
13.500 Quadratmeter Sichtbetonflächen in SB3 und SB4 eingebaut
dhib-Bauleiter Theo Zöller: „Die Sichtbetonfassade als selbsttragende monolithische Pfosten-Riegelfassade wird sich auf jeder Fassadenseite in einer anderen Relieftiefe darstellen. Die filigrane Struktur der SB 4-Fassade und die gestalterischen Anforderungen an Homogenität und Farbigkeit erforderten exakte Planung und Ausführung. 500 Kubikmeter SB4-Beton, etwa 2.250 Kubikmeter SB3-Beton sowie zirka 3.380 Kubikmeter SB2-Beton wurden mittels Pumpe, Krankübel oder durch Schüttrohre eingebracht. Die Festigkeitsklassen betrugen C30/37 und C35/45.“
Die Primärkonstruktion besteht aus Stahlbeton als Ortbeton mit unterschiedlichen Sichtbetonanforderungen in den Klassen SB2 bis SB4. Die zirka 4.000 Quadratmeter Wandflächen wurden mit Betoplan top MF (Format 5200/4000 x 2000 x 21 Millimeter), die fast 6.000 Quadratmeter Deckenflächen mit der Magnoplan MF (Format 2000 x 4000 x 21 im Raster/Zuschnitt 1560 x 3120 Millimeter) ausgeführt.
Weiterentwickelte Magnoplan war erste Wahl
Diplom-Ingenieur Uwe Gassmann, Produktmanager des westfälischen Holzwerkstoffspezialisten Westag & Getalit AG, betreute das Bauvorhaben. „Mit der bewährten Betoplan top MF für die Wandflächen bieten wir eine melaminbeschichtete Großflächenschalungsplatte, die höchste Anforderungen an perfekte Sichtbetonflächen sicher erfüllt. Um für den Deckeneinsatz eine kostengünstige Schaltafel mit verbesserten Produkteigenschaften zu bieten, entwickelten wir unsere bewährte Magnoplan weiter. Der Vorteil ist, dass der gleiche Melaminfilm (MF) sowohl bei der Betoplan top als auch bei der Magnoplan verwendet wurde. Dadurch erzielte man optisch gleiche Betonoberflächen in Wand, Fassade und Decke.“
Die als hochwertige Tischlerplatte bekannte Großflächenschaltafel erhielt ein neues Melamin-Beschichtungskonzept. Es verbessert die mechanischen Eigenschaften der Oberfläche, reduziert dabei ihre Feuchteaufnahme, erhöht die Lichtbeständigkeit und erzielt sogar höhere Standzeiten. Die neue Magnoplan MF mit versiegelten Kanten wird bereits in Fertigteilwerken eingesetzt, hatte hier in Berlin aber ihren ersten Baustellen-Großeinsatz. Die Doka-Schalungstechnik übernahm die Planung der Sichtbeton- Wandansichten, die Einsatzplanung der Wand- und Deckenschalung im Bereich Primärgebäude und die Entwicklung und Ausführung der komplexen Fassadenschalung in enger Abstimmung mit der Bauleitung. Auf der Grundlage der Vorgaben durch die Architekten und Fachplaner wurden die Schalungssysteme ausgewählt, der Bauwerksgeometrie und den Schalungsbildern angepasst und für die werksseitige Montage geplant. „Spezielle Schalungsaufgaben, Umbauten und Sonderanfertigungen“, so Bauleiter Zöller, „wurden hier auf der Baustelle durch unsere eigene Bautischlerei erledigt. Als Trennmittel kam eine Öl-in-Wasser-Emulsion zum Einsatz.“
Für das Primärgebäude wurde das Doka-System Top 100 tec eingesetzt. Es erfüllte die Anforderungen der verschiedenen Schalhautraster mit weniger Ankerstellen in der Elementfläche bei höherer Ebenheit der Schalelemente. In der Außenfassade wurden die Elemente mit dem System Trägerschalung Top 50 hergestellt. Die Baustellenmannschaft erarbeitete mit Doka ein Batterieschalungssystem, das der komplexen und gleichzeitig filigranen Geometrie angepasst wurde und die Genauigkeit bei gleichzeitiger effektiver Handhabung in allen Bauabschnitten gewährleistete.
Matte, gute und gleichmäßige Oberflächen erzielt
Doka-Projektleiter Edgar Feist: „Alle Sichtbetonelemente wurden mit der Schalhaut Betoplan top MF belegt und von hinten mit der Unterkonstruktion verschraubt. Die Leistung der Schalsysteme in Kombination mit der Westag-Schalhaut fand bei Bauleitung und Architekten Anerkennung und wurde als ein Faktor für den Erfolg der Sichtbetonausführung benannt. Durchweg wurden gute und gleichmäßige Oberflächen in Wand, Fassade und Decke erzielt.“
Der Neubau steht auf einem zirka 2.800 Quadratmeter großen, rechteckigen Grundstück. Seine Gründung erfolgte in einem geschlossenen Baugrubentrog als WU-Konstruktion auf tragfähigem Grund. Die WU-Bauteile bestehen aus einer Sohle von 105 cm Dicke und aufgehenden, 30 Zentimeter-starken Außenwänden. Das Gebäude hat zwei Untergeschosse mit Tiefgarage, ein repräsentatives Erdgeschoss, fünf Obergeschosse und einen zurückgesetzten DG-Aufbau für die Technik.
Die Deckenstärken betragen 30 bis 45 Zentimeter, in Sonderbereichen sind sie stärker. Die tragenden Stützen am Deckenrand bestehen in den Obergeschossen aus Stahlbetonfertigteilen. Die vertikale Lastabtragung in der Fassadenebene erfolgt über vorgefertigte Stahlstützen. Im Kern liegt die Platte auf den Kernwänden auf, welche das Gebäude inklusive der Fassade gegen horizontale Belastungen aussteift. In den Untergeschossen sind die Kernwände eingespannt. Stirnseitige Deckenfelder hängen in alternierendem Rhythmus an auskragenden Kernwänden. In den UG-Bereichen sind Abfangträger vorgesehen.
Metall-Glas-Fassade als regendichte Hülle
Eine Metall-Glas-Fassade wird die äußere, regendichte und wärmedämmende Gebäudehülle bilden. Sie wird nachträglich in den Luftspalt zwischen Primärkonstruktion und Sichtbetonfassaden eingefädelt.
Theo Zöller: „Diese Konstruktionsart setzte voraus, dass Rohbautoleranzen von maximal 5 mm in der Primärkonstruktion und an der Fassade strikt eingehalten werden müssen.“
Die Sichtbetonfassade als zweite Fassadenebene wird als künstlerische Sichtbetonskulptur verstanden. Diese freistehende und selbsttragende Gitterskulptur aus monolithisch gegossenen Riegeln und Pfosten bildet die äußere, sichtbare Fassade und somit das Herzstück des Projektes, heißt es in der Baubeschreibung.
Theo Zöller: „Sichtbetonbauwerke sind moderne, individuelle Unikate mit freien Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich Form und Oberfläche. Damit die Ansichtsflächen den Vorstellungen des Architekten und des Bauherren genügen, legen wir größten Wert auf Schalung, Textur, Ebenheit und Farbtongleichmäßigkeit. Und deshalb ist höchste Präzision und beste Schalhaut gefragt.“
von Redaktion
Erschienen in Ausgabe: August 2016 | Seite 31