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Milliardendeal: John Deere übernimmt Wirtgen-Gruppe
DBU/Berlin – Ein Filetstück der deutschen Wirtschaft wird amerikanisch: Der US-Konzern John Deere übernimmt die komplette Unternehmensgruppe Wirtgen. Der Milliardenkonzern aus Moline im US-Bundesstaats Illinois zahlt 4,4 Mrd. Euro für die Unternehmensgruppe Wirtgen, die sich bislang im Besitz der Familie Wirtgen befand. Die jetzigen Geschäftsführenden Gesellschafter, die Brüder Stefan und Jürgen Wirtgen, wollen sich bis zum Ende des Jahres vollständig aus dem Unternehmen zurückziehen.
Wirtgen ist eine besondere Firmengruppe. Sie gehört zu den führenden Herstellern von Straßenbaumaschinen weltwelt. Gleich in einer Vielzahl von globalen Märkten gibt Wirtgen mit einer seiner Unternehmens-Marken den Ton an.
So dominiert das Wirtgen-Tochterunternehmen Joseph Vögele aus Ludwighafen am Rhein den Straßenfertiger-Weltmarkt. Hamm aus dem oberpfälzischen Tirschenreuth gehört zu den Technologie- und Marktführern bei der Verdichtungstechnik und das Stammunternehmen Wirtgen mit Sitz in Windhagen zählt zu den global führenden Herstellern von Straßenfräsen. Darüber hinaus gehören Kleemann, Hersteller von Aufbereitungsanlagen, und Benninghoven, bekannt für seine Asphaltmischanlagen, zur Wirtgen-Unternehmensgruppe, die nun komplett in den Besitz des amerikanischen Land- und Baumaschinen-Konzern wechselt.
Global positioniert
Die Wirtgen-Gruppe ist weltweit aktiv. Mit 55 Vertriebs- und Servicegesellschaften ist Wirtgen auf allen Kontinenten vertreten. Rund 8.000 Mitarbeiter beschäftigt die Gruppe. Der familiengeführte Konzern muss keine Finanzzahlen vorliegen, da er nicht börsennotiert ist. Deshalb sind konkrete Finanzzahlen über Wirtgen kaum bekannt. Auf seiner Website benennt der Konzern für das Jahr 2016 einen konsolidierten Konzernumsatz von 2,59 Mrd. Euro. In laufenden Jahr strebt Wirtgen einen Gesamtumsatz von drei Mrd. Euro an.
Die Geschichte zum Erfolg
Die Konzern-Geschichte beginnt im Jahr 1961, als Reinhard Wirtgen, Vater der jetzigen Eigentümer und Geschäftsführer des Wirtgen-Konzerns, ein kleines Transportunternehmen gründet. Ab 1965 bietet die junge Firma ihre Dienste als Betonzertrümmerer im Straßenbau an. Kurze Zeit später entwickelt der Firmengründer zusammen mit wenigen Mitarbeitern die Zertrümmerer-Maschinen in einer Windhagener Werkstatt entscheidend weiter. Der Erfolg ist durchschlagend.
Noch in den 1970er Jahren ist das Unternehmen vorrangig als Dienstleister tätig. Bis zu 100 Großmaschinen für den Straßenbau zählt der Unternehmensfuhrpark, und immer mehr davon entwickelt und baut Wirtgen selbst.
1980 krempelt Reinhard Wirtgen das Geschäftsmodell seines Unternehmens völlig um. Nun lässt Wirtgen nicht mehr seine Maschinen für andere arbeiten, jetzt konzentriert er sich auf die Herstellung und den Verkauf der Maschinen. Der Erfolg gibt im Recht.
Im Jahr 1996 beginnt mit dem Kauf des Straßenfertiger-Experten Vögele eine nahezu beispiellose Übernahme-Serie. Ein ums andere Mal kauft Wirtgen, seit 1997 unter der Leitung der Söhne des Firmengründers, deutsche Maschinenbau-Unternehmen auf. Stets achtet man darauf, dass die Produkte der neuen Tochtergesellschaften das Gesamtsortiment des Konzern sinnvoll ergänzen. Dadurch entsteht ein Mehrwert, den die Kunden sehr zu schätzen wissen. Das Unternehmen baut in der Folge seine Marktpositionen weltweit aus. Nach Vögele stößt Hamm zum Wirtgen-Konzern, es folgt Kleemann und zuletzt, im Jahr 2014, wird der Spezialist für Asphaltmischanlagen, Benninghoven aus Mühlheim an der Mosel, übernommen.
Konzern-Gigant John Deere
Trotz der beeindruckenden Größe der Wirtgen-Gruppe ist der Käufer, der John-Deere-Konzern, ungleich größer. Der US-Multi ist vor allem für seine Traktoren und Mähdrescher bekannt, fertigt aber auch Baumaschinen wie etwa Radlader. Er beschäftigt weltweit fast 60.000 Mitarbeiter und erzielte 2014 einen Gesamtumsatz von über 39 Mrd. US-Dollar.
Wie Wirtgen mitteilte, plant John Deere, alle bestehenden Marken des Wirtgen-Konzerns, das Management, die Produktionsstandorte, die Mitarbeiter sowie das Vertriebs- und Servicenetz der Windhagener Unternehmensgruppe fortzuführen.
„Die einzigartige Marktposition, die langjährigen Kundenbeziehungen sowie die hohe Wertschöpfung machen die Wirtgen Group für John Deere besonders interessant. Gerade vor der strategischen Zielsetzung, dass Deere seine Position im Geschäftsbereich Construction & Forestry ausbaut. Denn durch die Akquisition der Wirtgen Group erreichen wir mehr Kunden, Märkte und Regionen“, sagte Samuel R. Allen, Chairman und CEO von Deere & Company.
Der Verkauf der Wirtgen-Gruppe kommt überraschend. In der Branche hatte kaum einer ernsthaft mit dieser Entwicklung gerechnet. Doch laut eigenen Angaben hatten die Brüder Wirtgen schon mehrere Übernahmeangebote erhalten. Doch hätten die Konzern-Lenker schon im Vorhinein Hedge-Fonds und Private-Equity-Unternehmen als Käufer ausgeschlossen.
Es gehe ihnen bei dem Verkauf darum, dass es für die Wirtgen-Gruppe einen stabilen Gesellschafter gibt. „Wir haben John Deere ganz gezielt ausgewählt, weil das Unternehmen am langfristigen Erfolg der Wirtgen-Gruppe interessiert ist und sich weltweit für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einsetzt“, so die Wirtgen-Brüder.
Der Bestand der Unternehmensgruppe unter Leitung der Familie ist aus Sicht von Stefan und Jürgen Wirtgen unsicher, da ihre Kinder „einfach zu jung“ sind. Bis einer ihrer Sprößlinge alt genug sei, um die Unternehmensführung zu übernehmen, würden sie selbst mindestens 75 Jahre alt sein. Das ist aus ihrer Sicht ein zu großes Risiko für den Fortbestand der Unternehmensgruppe.
Bis zum Jahresende wollen sich die Söhne des Firmengründers aus dem Konzern zurückziehen. Die Geschäfte sollen die Wirtgen-Manager Rainer Otto, Günther Hähn und Frank Betzelt übernehmen. Ab Januar 2018 wird der John-Deere-Manager Domenic Ruccolo das Konzern-Ruder als Vorsitzender der Geschäftsleitung übernehmen.
Auch für die Wirtgen-Belegschaft kam die Übernahme-Nachricht überraschend. Doch die Brüder Wirtgen wollen sich mit einem ordentlichen Geschenk bei den Mitarbeitern verabschieden und bedanken: Die Unternehmensgruppe will insgesamt einen dreistelligen Millionenbetrag als Sonderzahlung an die Mitarbeiter ausschütten – mindestens 12.500 Euro für jeden Wirtgen-Beschäftigten.
Erschienen in Ausgabe: Juli 2017 | Seite 3