Interview -

Noch immer enormer Nachholbedarf in Städten und Gemeinden

Interview mit Dr. Robert Momberg, Hauptgeschäftsführer Bauindustrieverband Berlin-Brandenburg e.V. und Hauptgeschäftsführer Bauindustrieverband Sachsen/Sachsen-Anhalt e.V.

DBU/Potsdam/Berlin – Dr. Robert Momberg ist seit 14 Jahren Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbandes Sachsen/Sachsen-Anhalt e.V. (BISA). Seit August 2017 führt er zusätzlich die Geschäfte des Bauindustrieverbandes Berlin-Brandenburg e.V. (BBB), ebenfalls als Hauptgeschäftsführer. Die Verbände streben eine Fusion an. Anlässlich des Koalitionspokers im neu gewählten Bundestag haben BISA und BBB ein gemeinsames Positionspapier mit sehr konkreten Forderungen vorgelegt. Der BauUnternehmer (DBU) sprach mit Dr. Robert Momberg unter anderem über die Herausforderungen der anvisierten Verbändefusion, über den sozialen Wohnungsbau, den Fachkräftemangel und den vielerorts schlechten Zustand der kommunalen Infrastruktur in den ostdeutschen Bundesländern.

DBU: Herr Dr. Momberg, seit August 2017 sind Sie Hauptgeschäftsführer von zwei ostdeutschen Regionalverbänden der Bauindustrie, Sachsen/Sachsen-Anhalt sowie Berlin-Brandenburg. Warum haben sich die Verbände für einen gemeinsamen Hauptgeschäftsführer entschieden?
Dr. Robert Momberg: Die beiden Verbände wollen die ostdeutsche Bauindustrie schlagkräftiger aufstellen. Effizient lässt sich dies gestalten, wenn die Bauindustrieverbände beider Regionen sich zu einem großen ostdeutschen Verband zusammenschließen. Mit der Fusion haben wir den Anspruch, „das“ Sprachrohr der ostdeutschen Bauwirtschaft zu werden. Vor diesem Hintergrund haben die Vorstandsgremien der Verbände beschlossen, beide Hauptgeschäftsführer-Positionen mit derselben Person zu besetzen, um den Vorbereitungsprozess und den eigentlichen Fusionsprozess möglichst zielorientiert zu führen.

DBU: Haben Sie Erfahrung mit Fusionen?
Dr. Momberg: Seit 14 Jahren bin ich Hauptgeschäftsführer beim Bauindustrieverband Sachsen/Sachsen-Anhalt. In meiner Anfangszeit haben sich die beiden Vorgängerverbände (Sächsischer Bauindustrieverband und Landesverband der Bauindustrie für Sachsen-Anhalt) zum heutigen Bauindustrieverband Sachsen/Sachsen-Anhalt zusammengeschlossen. Ich durfte also schon einmal den spannenden Prozess einer Verbändefusion gestalten.
Nun stehe ich erneut vor einer ähnlichen Herausforderung: Denn als gemeinsamer Hauptgeschäftsführer bin ich das Bindeglied zwischen den beiden Verbänden und es gehört zu meinen zentralen Aufgaben, die beiden Verbände erfolgreich zu einer Einheit zusammenzufügen und als großen ostdeutschen Bauindustrieverband zu etablieren.

DBU: Bei Fusionen fürchten viele eine Übernahme statt eines echten Zusammenschlusses. Wie wollen Sie dieser Befürchtung begegnen?
Dr. Momberg: Diese Befürchtung ist bei uns völlig unbegründet. Das liegt schon daran, dass die beiden Verbände sowohl in Größe als auch in Struktur sehr ähnlich sind: So haben beide ungefähr 150 Mitgliedsunternehmen, auf beiden Seiten arbeiten wir mit zwei Landesregierungen zusammen und beide Verbände beschäftigen ungefähr zehn Mitarbeiter. Die Verbände sind somit auf Augenhöhe und genau so gehen wir in die Fusionsgespräche. Das wird eine Fusion unter Gleichen.

DBU: Wieso haben Sie das „Positionspapier der ostdeutschen Bauindustrie zur Bundestagswahl 2017“ erst nach dem Wahltermin vorgelegt?
Dr. Momberg: Mit diesem Papier sind die Verbände erstmals gemeinsam öffentlich aufgetreten. Das ist ein bewusstes Signal. Und es war auch eine bewusste Entscheidung, nicht vor der Wahl mit dem Papier an die Öffentlichkeit zu gehen, sondern erst direkt nach der Wahl zum Zeitpunkt der Koalitionsverhandlungen. Mit dieser Strategie haben wir im Bauindustrieverband Sachsen/Sachsen-Anhalt gute Erfahrungen gemacht: Denn unsere Positionen und Forderungen waren in der Öffentlichkeit präsent, als auch die konkreten Vorschläge aus den Koalitionsverhandlungen bekannt wurden.

DBU: Zu Ihren konkreten Forderungen gehört eine Neuausrichtung des Solidarpakts.
Dr. Momberg: Das große politische Ziel hinter dem Solidarpakt ist es, die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West zu unterstützen. Denn wie das unabhängige Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo aktuell berechnet hat, wird die angestrebte Angleichung nicht vor dem Jahr 2030 erreicht sein. Daher sprechen wir uns für eine Neuausrichtung des Solidarpaktes aus, die eine solidarische Unterstützung besonders betroffener Bundesländer über das Jahr 2020 hinaus sicherstellt. Denn solange die Politik am Ziel der gleichen Lebensverhältnisse in Ost und West festhält, sollte der Angleichungsprozess auch weiterhin politisch unterstützt werden.

DBU: Wofür sollte man das Geld ausgeben?
Dr. Momberg: Bei der Infrastruktur gibt es in den ostdeutschen Bundesländern immer noch große Lücken zwischen dem, was erwartet wird, und dem, was tatsächlich vorliegt. Das betrifft nicht nur Verkehrswege, sondern auch die unterirdische Infrastruktur zur Ver- und Entsorgung. Ein gutes Beispiel ist die Versorgung mit schnellem Internet. Sicherlich ist der Breitbandausbau deutschlandweit nicht auf Spitzenniveau; aber in den ostdeutschen Ländern ist die Lage im Schnitt deutlich schlechter als in den westdeutschen Ländern. Daher muss nahezu flächendeckend in Ostdeutschland investiert werden, um in beiden Regionen ein gutes Durchschnittsniveau zu erreichen. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass eine gute Infrastruktur Voraussetzung ist, um längerfristiges Wirtschaftswachstum zu generieren.
Doch beim Ausbau der Infrastruktur ist ein wesentliches Problem die Hierarchie der Gebietskörperschaften. Auf Bundesebene stehen genügend Finanzmittel für den Infrastrukturausbau bereit. Auf Landesebene ist die Finanzierungslage ausreichend, doch auf kommunaler Ebene ist die Lage schlecht. In den Städten und Gemeinden gibt es noch immer einen enormen Nachholbedarf. Kommunale Brük­ken und Straßen sowie die Versorgungsinfrastruktur sind in den ostdeutschen Bundesländern zum Teil in einem sehr schlechten Zustand. Hier lauert eine große Gefahr für die deutsche Wirtschaft und die Versorgung der Menschen.
Daher brauchen wir für die Zeit nach dem Solidarpakt eine Lösung, die die Kommunen in Ostdeutschland auch im kommenden Jahrzehnt beim Aufholprozess unterstützt.

DBU: Unter Fachkräftemangel klagt mittlerweile die gesamte deutsche Wirtschaft. Wie begegnen Sie dem Thema?
Dr. Momberg: Der Bau ist doppelt hart von dieser Entwicklung betroffen. Zum einen schlägt der demografische Wandel zu, zum anderen hat der Bau noch immer nicht das beste Image. Unsere Branche ist erst auf den zweiten Blick sexy. Wirtschaftszweige mit besserem Image haben es leichter. Sie können Personen an sich binden, die auch für die Bauwirtschaft in Frage kämen. Um hier eine Besserung zu erreichen, müssen in erster Linie die Unternehmen eine auf Nachwuchsgewinnung zugeschnittene Personalentwicklung betreiben. Auch ein mittleres oder kleines Unternehmen, das keine Personalabteilung hat, muss sich strategische Gedanken über sein Mitarbeiter-Management machen.

DBU: Wie können Ihre Verbände hier unterstützend aktiv werden?
Dr. Momberg: Unsere vordringliche Aufgabe ist es, die Aufmerksamkeit der Branchenunternehmen für dieses Problem zu wecken. Man erwartet von uns eine Vorreiterrolle und diese nehmen wir auch wahr. Wir haben das Problem des Fachkräftemangels früh erkannt und schon eine Reihe an Kampagnen aufgelegt, um zur Imageförderung die modernen Aspekte der Baubranche stärker ins Licht zu rücken. Ein gutes Beispiel sind die Nachwuchsreferenten in der Hauptstadtregion. Diese besuchen Schulen in Berlin und im Umland und informieren Schüler über Berufsbilder am Bau, die attraktive Vergütung und die guten Zukunftschancen am Bau. Aber auch als Branche haben wir uns mit den Unternehmen zusammengeschlossen. Wir waren im vergangenen Jahr gemeinsam erfolgreich auf der YOU aktiv und auch in diesem Jahr werden wir wieder vor Ort sein.
Die Digitalisierung hat zudem Einfluss auf den Personalbedarf in der Bauwirtschaft. Verstärkt werden auch Hochqualifizierte gesucht. Einzelne Pionierunternehmen haben den Digitalisierungsschub längst erkannt und schaffen hoch attraktive Stellen. Unsere Aufgabe als Verband ist es nun, in der breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen, dass Bauunternehmen solche hochmodernen und attraktiven Arbeitsplätze wie die von BIM-Koordinatoren bieten.

DBU: Ein Großteil der Bau-Fachkräfte rekrutiert sich aus klassischen Ausbildungsberufen. Welche Forderungen verknüpfen Sie mit diesem Bereich?
Dr. Momberg: Die Berufsausbildung am Bau ist ein Erfolgsmodell, das wir verteidigen müssen und weiter stärken wollen. Es geht mit der überbetrieblichen Ausbildung in modernen Ausbildungszentren weit über das klassische Modell der dualen Ausbildung hinaus. Grund hierfür ist der Facettenreichtum der einzelnen Bauberufe. Das müssen wir stärker kommunizieren.
Hinter dem Ausbildungssystem mit den Berufsförderungswerken stehen die Sozialkassen der Bauwirtschaft. Und leider werden immer wieder politische Stimmen laut, die an den Sozialkassen und damit auch an der überbetrieblichen Ausbildung rütteln. Diesen werden wir auch künftig entschieden entgegentreten.
Allerdings haben die Bauunternehmen und unsere Berufsförderungswerke derzeit auch mit der Einstiegsqualifikation vieler Neu-Azubis zu kämpfen. Viele Schulabgänger haben an der Schule nicht die grundliegenden Fähigkeiten erworben, die sie für eine Ausbildung benötigen. Viele sind schlichtweg nicht ausbildungsfähig. Hier erwarten wir ein deutliches Eingreifen der Politik. Sie muss dafür sorgen, dass Schulabgänger so ausgebildet sind, dass die Betriebe sie beruflich ausbilden können.

DBU: Die politische Bedeutung des Baus hat eine Renaissance erlebt. Schuld daran ist der angespannte Wohnungsmarkt.
Dr. Momberg: Die Politik in Deutschland hat in den vergangenen Jahren den sozialen Wohnungsbau verschlafen; er spielte überhaupt keine Rolle. Das rächt sich jetzt. Vor allem in den Ballungsräumen. Hier haben wir eine enorme Lücke zwischen Bedarf und Bereitstellung. Wenn da nicht massiv gegengesteuert wird, kann das zu einem großen gesellschaftlichen Problem anwachsen. Daher setzen wir uns für eine Förderungsauf­stockung im sozialen Wohnungsbau sowie für eine generelle Verbesserung der Rahmenbedingungen beim Wohnungsbau ein.

DBU: Aktuell erlebt Deutschland aber doch einen Wohnungsbauboom.
Dr. Momberg: Dass aktuell mehr Wohnungen gebaut werden als in den Vorjahren, ist vorrangig den Anreizen vom Kapitalmarkt zu verdanken. Zinsen und Kapitalerträge sind niedrig, da leiten viele Investoren – auch private – ihre Mittel in den Immobilienneubau. Dort sind die Renditen gut, weil eben weniger Wohnungen zur Verfügung stehen als nachgefragt werden. Die Wohnungsbedarfslücke besteht aber dennoch. Auch die vielen leerstehenden Wohnungen in strukturwachen Regionen ändern nichts an dieser Tatsache. Hinzu kommt, dass sich die Ansprüche an Wohnungen durch Alterung der Gesellschaft und Verkleinerung der durchschnittlichen Haushaltsgröße grundlegend geändert haben. Viele Wohnungen sind einfach nicht mehr marktfähig.
Hier sollte die Politik den Wohnungsbau unterstützen und auch lenken. Das muss nicht zwingend durch ein groß angelegtes Wohnungsbauprogramm geschehen. Das kann und muss auch durch eine Verschlankung der Baugenehmigungsverfahren, Kosten-Nutzen-Überprüfung einzelner Vorschriften der Energieeinsparverordnung oder „Vereinheitlichung“ der Landesbauordnungen durch eine Rahmenbauordnung geschehen.

Herr Dr. Momberg, ich bedanke mich herzlich für das Gespräch.


Das Interview führte DBU-Redakteur Heiko Metzger.

 

Erschienen in Ausgabe: Februar 2018 | Seite 8

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