von Gastautor
Ohne Gipsmantel keine Holzklinik in Baden-Württemberg
Erstes deutsches Krankenhaus aus Holz steht in Pforzheim - Schwäbischer Quartiersentwickler meistert strenge Brandschutzauflagen
Holz als Baustoff ist Mode. Selbst Hochhäuser entstehen rund um den Globus in Holzbauweise wie Projekte in Wien, Berlin und Tokio zeigen. Doch eine Königsdisziplin erklimmt ein Projekt aus Pforzheim (Baden-Württemberg). Dort baut eine Quartiersentwicklerin eine Holzklinik.
Holzbau gilt als nachhaltig. Bauen mit Beton hingegen hat den Ruf, Ressourcen zu fressen. Leichtbaupapst Werner Sobek rechnet vor: 60 Prozent des weltweiten Ressourcenverbrauchs gehen auf das Konto der Bauindustrie. Ebenfalls 60 Prozent des globalen Massenmüllaufkommens und 35 Prozent des Energieverbrauchs sowie der Emissionen lassen sich dem Bau zurechnen. Kein Wunder – ist Holz längst im Wohn- und Geschossbau angekommen. Sogar Hochhäuser ragen inzwischen aus Holz gen Himmel: Das „Hoho“ in der Seestadt vor den Toren Wiens etwa mit 84 Metern. Und in Tokio plant der Holzbaustoffkonzern Sumitomo Forestry derzeit das höchste Holzhochhaus der Welt. Es soll 2041 fertig sein und eine Höhe von 350 Metern erreichen: 70 Etagen Platz für Wohnungen, Büros, Geschäfte und Hotels.
Renaissance von Holz als klimaschonendes Baumaterial
Die Renaissance des Holzes als Baumaterial hat viele Vorteile. Zum Beispiel ist es atmungsaktiv, Feuchtigkeit kann entweichen; es sorgt für ein wohliges Raumklima. Gleichzeitig speichert es Wärme und CO2. Der Baustoff Holz schont demnach das Klima, im Gegensatz zu Beton, Ziegel oder Kies. Auch ein pro Holz-Argument ist die schnelle Bauweise. In der Praxis steht ein Holzgeschoss binnen drei Tagen, denn Holzbauingenieure planen Decken und Wände detailreich vor. So können Zimmerleute sämtliche Elektro- und Wasserinstallationen werksseitig vorfertigen, ehe sie die einzelnen Elemente auf der Baustelle montieren.Einen Nachteil hat Holz jedoch: Es brennt. „Das ist der Haken“, sagt Alexander Stahr von der HTWK Leipzig. So ist Bauen mit Holz unter dem Eindruck der Kriege stark zurückgegangen. „Die brennenden Städte haben sich ins Bewusstsein gefressen“, veranschaulicht der Architektur-Professor. Deshalb verschärften Baubehörden nach dem Zweiten Weltkrieg die Vorschriften. Wie streng dies Ämter auslegen können, haben Monika Seckler-Fleischer und Daniel Mudroh erlebt. Die Geschäftsführer der Palm KG, einem Quartiersentwickler aus Schorndorf, wollen 2020 ein Gebäude für eine Intensivpflege-WG bauen.
Doch das Pforzheimer Bauamt stuft das Haus als Krankenhaus und somit als Sonderbau ein. Der Rohbau ist aus statischen Gründen zwar zu 30 Prozent aus Beton, für die restlichen 70 Prozent aus Holz gelten allerdings verschärfte Regeln. Dazu gehört das Verkapseln aller Holzrohbauelemente. Das Stichwort lautet: Brandschutzqualität K2 60. „Sie besagt, dass alle Holzbauteile mit Gipsfaserplatten ummantelt sein müssen“, verdeutlicht Bautechniker Mudroh.
In Süddeutschland dürfen bislang 25 Betriebe Holzkliniken bauen
Damit wird die Brandlast möglichst gering und es bleibt genügend Zeit, Pflegebedürftige zu evakuieren. Das Problem: Diese Art des Holzbaus bedarf eines speziellen Zertifikats. In ganz Süddeutschland haben nur 25 Betriebe diese Zulassung. Der Schwarzwälder Holzbaubetrieb Schaible aus Schönbronn gehört zu diesem Kreis und kann die vom Amt geforderte Qualität liefern. Binnen sechs Wochen stehen Wände und Decken. Und weil das 800 Quadratmeter Nutzfläche umfassende Gebäude zum Großteil vorgefertigt ist, wird das 2,5-Millionen-Projekt im Mai 2021 nach kurzer Bauzeit der Mieterin übergeben. „Herausfordernd sind im Holzbau neben dem Brandschutz die Witterungseinflüsse sowie die Anschlüsse an andere Werkstoffe“, sagt Mudroh.
Um in Pforzheim etwa das Spritzwasserproblem und die Sockelabdichtung zu lösen, lässt die Bauherrin die Holzständerbau-Elemente auf einen 35 Zentimeter hohen Betonsockel stellen. Auf diesen werden U-Schuhe aus Stahl montiert, sie nehmen die Holzelemente auf. „Auch der Lastübertrag wird so besser verteilt“, sagt Mudroh. Überhaupt fordert die Holzklinik mehr Planung als ein klassischer Betonbau. Improvisieren auf der Baustelle ist kaum möglich. So muss etwa der Betonbauer Tür-Maße unmittelbar an den Holzbauer übermitteln. Damit der, noch während die Holzelemente in der Produktion stecken, mit Beihölzern und Auflagen Differenzen ausgleichen kann. Betonbauer und Zimmerleute unterscheiden sich bezüglich ihres Gespürs für Toleranzen. Ersterer denkt in Zentimeter, der andere in Millimeter. Komplex gestaltet sich auch die amtliche Forderung nach Rauchdichte. Anschlüsse, an denen Holz auf andere Werkstoffe trifft, gelten als rauchdurchlässig. Durch geschickte, überlappende Konstruktionen wirken Ingenieur Schaible und Bauherrin Palm dem entgegen.
„Holzbau erfordert ein hohes Maß an Vorausschau und Präzession“, bilanziert Mudroh und sieht darin eine Chance für Ingenieure. Die könnten Industriestandards und Know-how im Bauwesen einbringen und sich damit etablieren. Denn je feiner geplant wird, desto Ressourcen schonender könne gebaut werden. Herausforderungen wie Schallschutz und Statik zwingen zudem, im Holzbau detaillierter zu denken. „Allein der Bodenaufbau ist mit unterschiedlichsten Materialien wie Holz, Gips, Basaltkies, Steinwolle und Zementestrich komplex und kann nicht erst auf der Baustelle entschieden werden“, verdeutlicht Mudroh.
Erste Holzklinik Europas steht seit 2018 in Graz
In Deutschland ist die Palm KG der erste Investor, der eine Holzklinik baut. In der Steiermark hingegen übergibt bereits 2018 Architekt Simon Speigner das Holzkrankenhaus an das LKH Graz. Die Österreicher hatten das Landeskrankenhaus zuerst mit anderen Baustoffen geplant. Doch weil Studien belegen, dass Holz den Puls senkt und Menschen entspannt, wurde der Bau umgeplant. Bauen mit Holz ist zwar schneller und gesünder, aber auch günstiger? „Aktuell leider Nein“, sagt Mudroh. Der Holzpreis sei zu hoch. Der Stuttgarter räumt aber ein, dass vor allem die Logistik entscheidet, ob ein Holzbau günstig gelingt. Pforzheim etwa liegt vor dem Schwarzwald. Die Zimmereien dort kaufen ihr Holz langfristig ein. Die Preise sind stabil. Wer hingegen in waldarmen Gegenden wie NRW mit Holz bauen will, muss den Rohstoff teuer besorgen und die Fahrt bezahlen.
(Text: Michael Sudahl) Bild: D:as Paul-Löbe-Haus in Pforzheim: Alle Holzbauteile müssen aus Brandschutzgründen mit Gipsfaserplatten ummantelt sein. (Foto: : DG/Bebop media)
von Gastautor
Erschienen in Ausgabe: September 2022 | Seite 09