von Jasch Zacharias
Online-Netzplan gegen Milliardenschäden gefordert
Allein haftende Betriebe verursachen mindestens 100.000 Fälle im Jahr in Deutschland
DBU/Stuttgart – Immer häufiger werden in Deutschland bei Bauarbeiten Strom-, Wasser oder Gasleitgungen beschädigt. Der Schaden ist für die allein haftenden Bauunternehmen und ihre Versicherungen beträchtlich. Weil Kommunen und Versorgungsunternehmen oft selbst nicht mehr genau wissen, wo die Kabel genau liegen, fordert Baden-Württembergs Bauwirtschaft beispielhaft für die gesamte Republik einen digitalen Masterplan für Leitungsnetzwerke.
Etwa 100.000 Fälle, bei denen Bauunternehmen Versorgungsleitungen beschädigen, werden deutschlandweit den Versicherungen pro Jahr gemeldet. Vorsichtige Schätzungen der Versicherer sprechen von 500 Millionen Euro, die allein als Regressanspruch der Geschädigten dabei fällig werden. Experten gehen jedoch insgesamt von einem weitaus höheren Schaden in Milliardenhöhe aus. Das Institut für Bauforschung (IFB) in Hannover hat dazu eine Studie zu Kabel- und Leitungsschäden in Deutschland veröffentlicht,
Spektakulär ist zum Beispiel 2019 der Fall im Berliner Bezirk Köpenick gewesen, als bei Bohrungen auf einer Hauptverkehrsbrücke sowohl die Hauptstromtrasse wie auch deren Ersatzleitung zerstört worden sind. Die Folge war ein kompletter Blackout. Mehr als 30.000 Haushalte und 2.000 Gewerbetriebe, darunter Supermärkte, Restaurants und Dienstleister saßen bei winterlichen Temperaturen für etwa 30 Stunden ohne Strom da. Noch Monate danach war zudem die wichtigste Verkehrsader weit und breit wegen Reparaturarbeiten lahmgelegt. Für das Bauunternehmen war das eine Katastrophe: Denn es unterliegt einer besonderen Sorgfaltspflicht und haftet uneingeschränkt im Schadensfall.
Dabei verlaufen die Recherchen von Unternehmen vor Beginn der Bauarbeiten oft im wahrsten Sinne des Wortes im Sande. Weder die Kommunen, noch die einzelnen Versorgungsunternehmen, die einst die Leitungen gelegt haben, haben in vielen Fällen einen genauen und in ihrer Historie vollständig dokumentierten Leitungsplan parat. Auch für einen Baggerfahrer auf der Baustelle selbst ist das ein Albtraum. Denn immer mehr Netzsysteme durchziehen den Boden: Wasserleitungen, Abwasserrohre, Stromleitungen, Breitbandkabel. Und jedes Jahr kommen neue Leitungen hinzu. Falls er beispielswiese eine Stromleitung erwischt, kann das für ihn und weitere Bauarbeiter lebensbedrohliche Folgen haben. Damit insbesondere Baggerfahrer besser auf solche Fälle vorbereitet sind, bietet die Bauwirtschaft Baden-Württemberg so genannte Präventionskurse für den Havariefall vor. Wesentliche Voraussetzung zur Schadensvermeidung ist laut Thomas Möller, Hauptgeschäftsführer der Bauwirtschaft Baden-Württemberg, jedoch vielmehr noch eine möglichst frühzeitige und vor allem detaillierte Information für die Baufirmen über sämtliche vor Ort vorhandenen Leitungen. Doch genau hier hakt es. Viele Kommunen hätten schlichtweg keinen Überblick, welche Leitungen in ihrem Gemeindegebiet wo genau verlegt sind. „Leider gibt es bis heute keine zentrale Koordinierungsstelle für Leitungsauskünfte, die das gesamte Netzwerk in Baden-Württemberg abdeckt. Unsere Betriebe müssen deshalb meist selbst im Vorfeld von Baumaßnahmen mühsam die wichtigsten Daten bei der zuständigen Kommune oder den einzelnen Versorgern einholen. Oftmals sind die Angaben, die sie dort bekommen, ungenau oder unvollständig. Es fehlen weiterführende Hinweise zur Tiefenlage von Kabeln und Rohren oder zu bekannten Hindernissen im Boden. So kann man als Baufirma nicht sicher arbeiten“, beklagt Möller. Letztlich fühle sich aber keiner für das Netzwerkchaos im Boden zuständig.
Sinnvoll wäre es, wenn man alle Netze über ein zentrales Online-Verzeichnis erfassen und auf Knopfdruck abrufen könnte. „Was wir dringend brauchen, ist ein digitaler Masterplan für sämtliche Leitungsnetzwerke im Land,“ fordert Möller. Und was für Baden-Württembergs Bauwirtschaft immens wichtig ist, ist auch in sämtlichen Bundesländern und Stadtstaaten in Deutschland dringend notwendig.
Ungeklärt ist, so Möller, auch die Frage der Haftung bei Leitungsschäden. Es dürfe nicht – wie bisher üblich– die gesamte Verantwortung der Schadensvermeidung allein auf die ausführenden Bauunternehmen abgeladen werden nach dem Motto: Wer den Schaden verursacht, bleibt auf den Kosten sitzen. „Letztlich geht es um Haftungsrisiken, die fair auf alle Beteiligten verteilt werden müssen“, sagt Möller. Er kritisiert zugleich die Rechtsprechung, die einseitig den Baubetrieben beinahe sämtliche Sorgfaltspflichten im Zuge von Tiefbauarbeiten auferlegt. Die Anforderungen gingen sogar so weit, dass Unternehmen selbst bei sorgfältigster Planung und Arbeitsvorbereitung für auftretende Leitungsschäden zur Verantwortung gezogen würden. Faktisch laufe dies auf eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung hinaus. „Das führt dazu, dass von unseren Firmen sogar abverlangt wird, das Erdreich per Schaufel in fünf Meter Abstand links und rechts einer Leitung abzutragen, nur um zu schauen, wo genau diese im Boden verläuft. Das ist eine absurde Entwicklung,“ beklagt sich der Lobbyist. Die Bauwirtschaft Baden-Württemberg fordert daher, dass sich Kommunen und Versorgungsunternehmen künftig an Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung von Leitungsschäden beteiligen. Dringend erforderlich wäre zudem eine gesetzliche Auskunftspflicht für Leitungsbetreiber gegenüber den ausführenden Tiefbaufirmen, in der sie für die Richtigkeit ihrer erteilten Auskünfte einstehen.
von Jasch Zacharias
Erschienen in Ausgabe: Seite 03| Juli 2020