von Gastautor
"Raiqa" in Innsbruck - Holzbau in neuer Dimension
Tiroler Raiffeisen-Landesbank lässt für 155 Millionen Euro nachhaltigen Neubau errichten
Mitten in Innsbruck entsteht ein spannendes Holzbau-Projekt. Statt die alte Firmenzentrale abzureißen, plant die Raiffeisen-Landesbank Tirol AG (RLB) ein Gebäude, das den 60-mal-20 mal-40-Meter-Quader der alten Bank im Neubau als Kern integriert. Derzeit läuft die Sanierung des Bestands. Ab Ende 2025 soll ein imposanter (Neu-)Baukörper das Stadtbild prägen und das derzeit freudlose Viertel zwischen Bahnhof und Innenstadt beleben.
Energieautarkes urbanes Quartier
Damit das gelingt, müssen Quartiere wie das Raiqa gesellschaftlich wirken. Projektentwickler Daniel Mudroh von der Schorndorfer Palm KG weiß, was ein urbanes Quartier heute können muss. Energieautark zu sein, steht an erster Stelle. Planerisch hilft Flexibilität, was dem einfach zu montierenden Holzbau in die Karten spielt. „Je flexibler Grundrisse sind, desto schneller finden sich Mieter und später Nachmieter“, weiß Mudroh. „Mixed Use“ ist hier das Stichwort. Gelingt es, kurze Wege zu schaffen und eine gute Anbindung in städtischen Gebieten sowie (in der Provinz) Parkplätze hinzukriegen, entwickeln Quartiere eine Strahlkraft. Dazu gehört auch eine ansprechende Architektur. „Insofern sind die Innsbrucker Banker mutig“, ordnet Mudroh ein, der das Projekt von außen beurteilt. „Bauen im Bestand oder gar im Denkmal kann Risiken bergen, hat aber mehr Charme und die Situationen sind am Ende oft einladender als in sterilen Neubauten“, findet der Experte. Im Kern gehe es darum, Plätze mit hoher Aufenthaltsqualität zu schaffen, die ohne Konsum funktionieren.
Skybar in Modulbauweise
Das Quartier in Innsbruck ist durch seine schiere Größe stadtbildprägend. Es hat eine Gesamtfläche von 23.000 Quadratmeter, das Investitionsvolumen liegt bei rund 155 Millionen Euro. Neben Büros für die mehr als 300 Mitarbeitern der Landesbank soll es Coworking-Flächen, ein Vier-Sterne-Hotel mit Bar unterm Dach, Läden und einen öffentlichen Kunstraum geben. Zudem setzen die Tiroler darauf, im Inneren des Gebäudes besagte Aufenthaltsflächen zu schaffen. Dafür wird das vorhandene Hochhaus, das in Stahlskelettbauweise 1970 errichtet wurde, vollkommen entkernt. Statt abzureißen, recyceln die Österreicher. Etwa 30 Prozent des rückgebauten Materials sollen wiederverwertet werden. Allein beim Betonabbruch dürften das 20.000 Kubikmeter sein, die im neuen Quartier als R-Beton verbaut werden.
Ab dem vierten Obergeschoss wird mit Holz aufgestockt. 161 Hotelzimmer und die 800 Quadratmeter große, darüberliegende Skybar sind in Holzmodulbauweise geplant, die sich als eigene formsteife Körper zeigen. Als Tragwerk fungiert der bestehende Quader, früher RLB-Turm genannt. Fortsetzung ist die schwebende Plattform im obersten Geschoss, die ebenfalls aus Holz vorgesehen ist: Die Decke über dem achten Obergeschoss, über den Hotel-Suiten und der Dachterrasse sowie das Dach über der Skybar und dem Eventbereich im neunten Obergeschoss werden als Flachdecke in Holz ausgeführt. Durch Bestandserhalt und Holzbau spart die RLB laut eigenen Angaben im Vergleich zum Massivbau 1400 Tonnen CO2-Äquivalent ein.
Dieses Holzbau-Konzept ist in seinem Ausmaß neu. Beim Einbau kommen daher spezielle Verbindungssysteme im Anschlussbereich der Holzflachdecken zu den Schleuderbetonstützen zum Tragen. „Sie verteilen die Lasten großflächig, ohne viel Platz im Raum einzunehmen“, erklärt Matthias Rinnhofer von der RWT Plus ZT GmbH aus Wien. Der Tragwerksplaner verdeutlicht die Dimension: „Im achten und neunten Obergeschoss bauen wir zwei Decken, die durch 32 Betonstützen punktgestützt und am Betonkern aufgelagert werden.“ In Summe entstehen somit rund 1400 Quadratmeter Decken aus Brettsperrholz. Dabei beträgt der Stützenabstand bis zu 7 Meter, mit Auskragungen von maximal 4,3 Metern. Möglich ist das, weil mit dem Beschlag Spider eine Technik eingesetzt wird, die Flächen von bis zu 50 Quadratmeter stützen. Die so konzentrierten Lasten werden in die Decken geleitet, was die Durchstanztragfähigkeit erhöht. Laut Rinnhofer arbeiten die Tragwerksplaner mit Hersteller Rothoblaas aus Südtirol zudem an einer Spezialversion für das Raiqa. Diese soll nochmal mehr Fläche ohne zusätzliche Stützen ermöglichen. Am Ende sollen es 75 Quadratmeter sein. Der Lasteinflussbereich würde dadurch um 50 Prozent zur Standard-Spider-Version gesteigert, so Rinnhofer.
170 Tonnen unterschiedlichster Materialien wurden sortiert und recycelt
Erschwerend kommt hinzu, dass die Betonstützen in den jeweiligen Geschossen nicht direkt untereinander montiert sind, sondern bis zu 1,30 Meter versetzt stehen. Auch diesen Versatz gilt es bei der Lastenverteilung zu berücksichtigen. Damit dieses Konstrukt gelingt, müssen die für die Decken eingesetzten Brettsperrholzplatten bis zu 52 Zentimeter dick sein. Um die handelsübliche maximale Höhe von 40 Zentimeter zu übersteigen, streben die Tragwerksplaner eine Blockverklebung an. Durch sie entsteht die erforderliche Quersteifigkeit, wobei die Plattenstöße speziell angeordnet sind. Das Deckenkonzept gilt innerhalb der Branche als besonders innovativ und wurde schon vor der Ausführung beim Wettbewerb Build the (IM)POSSIBLE mit dem ersten Platz ausgezeichnet.
„Wer die futuristischen Illustrationen des neuen Komplexes betrachtet, bekommt eine Idee davon, wie das Gebäude städtebaulich den Ort prägen soll“, findet Mudroh. Die Landesbank will das revitalisierte Areal, das zu 50 Prozent vermietet wird, möglichst energieautark betreiben. Geothermie und Fotovoltaik sind als Strom- und Wärme-Lieferanten gesetzt. Baufertigstellung ist bis Ende 2025 geplant. Den sozialen Aspekt des Projekts, das auch als neues Geschäftsfeld der Bank betrachtet werden darf, liefert ein Wortkonstrukt: „Social Urban Mining“ kombiniert den sortenreinen Rückbau der alten Zentrale und die Verwertung von Alt-Möbeln und -Bauteilen über soziale Betriebe, in denen langzeitarbeitslose Menschen beschäftigt sind. Laut Bericht der Uni Innsbruck, die das Projekt begleitet, kann die RLB ein CO2-Äquivalent von rund 142 Tonnen sparen. In Summe wurden mehr als 170 Tonnen unterschiedlichster Materialien sortiert und recycelt. Michael Sudahl
Bild: V. l.: Mag. Thomas Wass (stv. Vorstandsvorsitzender RLB Tirol), Ing. Markus Pfeifer (STRABAG Technischer Direktionsleiter Tirol & Vorarlberg), Mag. Reinhard Mayr (Vorstandsvorsitzender RLB Tirol) und Dr. Christof Splechtna (Vorstandsmitglied RLB Tirol) freuen sich auf die Zusammenarbeit bei der Errichtung des Rohbaus.(Foto: RLB Tirol)
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