Forschung - von Redaktion

Revolution am Bau: Selbstheilender Beton

Bakterien im Beton erwachen bei Schäden

München (Bayern)/ Delft (Niederlande) – Gebäude und Bauwerke aus Beton, die selbst in der Lage sind, spannungsbedingte Risse im Material wie von Zauberhand zu schließen und sich selbst zu reparieren? Keine Utopie mehr, sondern dank der Erfindung des Mikrobiologen Hendrik „Henk“ Marius Jonkers bald Realität. Seine Vision: die Zugfestigkeit und Umweltfreundlichkeit des Materials mithilfe der Natur zu verbessern. So entwickelte der Niederländer den Biobeton der Zukunft – mit Bakterien, die bis zu 200 Jahre in einer Betonstruktur überleben können, um bei auftretenden Schäden zu „erwachen“ und sie durch die Produktion von Kalkstein zu heilen. In Hinblick auf die Infrastruktur der Gebäude in Europa, die zu 70 Prozent aus Beton besteht, ist Jonkers‘ bahnbrechende Innovation vielversprechend: Sie könnte sowohl die Kosten für die Betonherstellung und Instandhaltung verringern, als auch die daraus resultierenden CO2-Emmissionen eindämmen.

Für seine Erfindung wurde der Niederländer jetzt als einer von drei Finalisten für den renommierten Europäischen Erfinderpreis 2015 in der Kategorie „Forschung“ nominiert. Am 11. Juni wurde in Paris die begehrte Auszeichnung im Rahmen eines Festakts zum zehnten Mal verliehen (Das Ergebnis der Preisvergabe war zu Redak­tionsschluss nicht bekannt.)

„Hendrik Jonkers‘ bakterienhaltiger Bio-Beton verlängert die Lebensdauer von Brücken, Straßen und anderen Bauwerken, und eröffnet damit völlig neue Perspektiven für die Betonproduktion“, sagte EPA-Präsident Benoît Battistelli bei der Bekanntgabe der Finalisten. „Mit seiner zukunftsweisenden Innovation ist es ihm gelungen, die Mikrobiologie mit dem Bauingenieurwesen zu kombinieren – zwei Wissenschaften, die auf den ersten Blick keinen direkten Zusammenhang haben.“

Jonkers nutzt den Selbstheilungs-effekt aus der Natur
Seine Leidenschaft für Camping und Tauchen prägte die Laufbahn Henk Jonkers: So begann er mit dem Studium der Meeresbio­logie an der Universität Groningen in den Niederlanden. Nach seiner Promo­tion im September 1999 konzentrierte sich seine Entwicklungsarbeit auf die Erforschung des Verhaltens von Bakterien. Mit kalkproduzierenden Bakterien experimentierte er erstmals während seiner Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen. Als Inspiration für seine Forschung dienten Organismen mit Selbstheilungspotenzial, wie zum Beispiel der Oktopus, bei dem abgetrennte Tentakeln nachwachsen, oder Pflanzen, die mit Hilfe eines Ablegers einen völlig neuen Organismus ausbilden. Sein Weg führte ihn 2006 als Experte für das Verhalten von Bakterien an die Fakultät für Bauingenieurwesen und Geowissenschaften der Technischen Universität Delft. Im Rahmen seines dortigen Forschungsprogramms setzte sich Jonkers zum Ziel, eine Lösung zu finden, um den Selbstheilungseffekt von Organismen aus der Natur auf Beton zu übertragen.
Über 200 Jahre eingekapselte Reparaturkraft
Um die Risse im Beton zu schließen, wählte Jonkers Bakteriengattungen (Bacillus pseudofirmus und B. cohnii), die in der Lage sind, auf biologische Weise Kalkstein zu produzieren. Ein positiver Nebeneffekt der Kalksteinproduktion: Die Bakterien verbrauchen bei diesem Vorgang Sauerstoff, wodurch die Korrosion von Stahlbeton im Inneren verhindert wird. Für Menschen sind die Bakterien völlig ungefährlich, da diese nur unter den alkalischen Bedingungen innerhalb des Betons überleben können.
Auf dieser Basis entwickelten Jonkers und sein Forscherteam drei verschiedene Arten der bakterienhaltigen Betonmischung: Den selbstheilenden Beton, der bereits mit den Bakterien verbaut wird, sowie den Reparaturmörtel und die flüssige Reparaturlösung, die erst bei akuter Beschädigung auf die Betonstellen aufgetragen werden.
Der selbstheilende Beton ist die komplexeste der drei Varianten. Dabei werden die Sporen der Bakterien in zwei bis vier Millimeter großen Tonpellets eingekapselt und der Betonmischung zusammen mit separat eingeschlossenem Stickstoff, Phosphor und einem Nährstoff auf Kalziumlaktat-Basis beigemischt.
Der bahnbrechende Ansatz dieser Methode gewährleistet, dass die Bakterien bis zu 200 Jahre schlafend im Beton verharren und erst dann mit den Nährstoffen in Kontakt treten, wenn Wasser durch Risse in die Betonkonstruktion eindringt – und nicht etwa beim Zementmischprozess. Aus diesem Grund eignet sich diese Variante vor allem für Bauwerke, die der Witterung ausgesetzt sind und an Stellen, die für Wartungsarbeiter schwer erreichbar sind. Teure und komplizierte manuelle Reparaturen werden somit überflüssig.

von Redaktion

Erschienen in Ausgabe: Juni 2015 | Seite 10

Zurück