Recht - von Redaktion
Technisch notwendige Zusatzleistungen sind immer zu vergüten
Urteilskommentar von Dr. Wiebke Mund, Leinemann & Partner Rechtsanwälte
Hamburg – Der Auftraggeber (AG) beauftragt den Auftragnehmer (AN) mit Fliesen- und Natursteinarbeiten an einem Bauvorhaben. Der für den AG tätige Bauleiter ordnet während der Bauausführung eine Reihe von zusätzlichen Leistungen an, für die der AN Mehrvergütung verlangt. Der AG lehnt die Vergütung für die Erbringung zusätzlicher Leistungen ab. Er meint, er sei zur Vergütung nicht verpflichtet, weil der Bauleiter nicht bevollmächtigt gewesen sei, die Ausführung zusätzlicher Leistungen anzuordnen. Dies sei dem AN aufgrund einer entsprechenden vertraglichen Regelung im Bauvertrag auch bekannt gewesen. Der AN erhebt Klage auf Restwerklohn, der das Landgericht in Teilen stattgibt. Der AG legt gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung ein und begründet diese unter anderem damit, dass das Landgericht zu Unrecht Mehrvergütungsansprüche für erbrachte zusätzliche Leistungen bejaht habe, weil der anordnende Bauleiter nicht bevollmächtigt gewesen sei, mehrvergütungsauslösende Anordnungen zu treffen. Dem folgt das Oberlandesgericht nicht, sondern gibt der Klage auf Restwerklohn auf Grundlage zusätzlich erbrachter Leistungen ebenfalls in weiten Teilen statt. Der Bundesgerichtshof hat die gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen.
OLG München, Urteil vom 10. September 2013 - 9 U 1685/12 Bau - NZB zurückgewiesen durch BGH, Beschluss vom 26. März 2015 - VII ZR 260/13; vorhergehend: LG München I, Urteil vom 13. März 2012 - 5 O 9791/08
Das Oberlandesgericht bestätigt das erstinstanzliche Urteil mit der Einschränkung, dass aufgrund der - vertraglich begründeten - Kenntnis des AN von der fehlenden Vertretungsmacht des Bauleiters, mehrvergütungspflichtige zusätzliche Leistungen anzuordnen, nur solche zusätzlichen Leistungen vergütet werden müssen, deren Erbringung für den Gesamtwerkerfolg erforderlich war und damit im mutmaßlichen Interesse des AG gewesen ist. In diesen Fällen bestünde ein Anspruch auf Mehrvergütung in Höhe der üblichen Vergütung unter dem Gesichtspunkt der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag, §§ 683, 680 BGB in Verbindung mit § 2 Absatz 8 Nr. 3 VOB/B.
Die Auffassung des Oberlandesgerichts ist zutreffend. Fehlt eine wirksame Anordnung in Ermangelung einer entsprechenden Bevollmächtigung von Bauleitern, Architekten, Bauüberwachern oder sonstigen am Bau auf Seiten des AG Beteiligten, ist im Zusammenhang mit dennoch angeordneten Leistungsänderungen oder zusätzlichen Leistungen zunächst immer an einen Vergütungsanspruch nach § 2 Absatz 8 Nr. 2 VOB/B zu denken. Dieser ist dann gegeben, wenn die Leistung (-sänderung) für den AG objektiv notwendig gewesen ist (Leinemann/Hilgers in: Leinemann, VOB/B Kommentar, 5. Auflage, § 2, Rn. 642). Allerdings bedarf es sodann stets der unverzüglichen Anzeige. Daneben verweist § 2 Absatz 8 Nr. 3 VOB/B auf die Regelungen der §§ 677 ff. BGB, wonach ein Vergütungsanspruch - auch ohne Anzeige - begründet ist, wenn die Leistung objektiv „nützlich“ und damit im mutmaßlichen Interesse des AG gewesen ist (Sprau in: Palandt, 74. Auflage, § 683, Rn. 4 ; OLG Jena, Urteil vom 19. September 2007 - 7 U 35/07). Im Fall technischer Notwendigkeit zur Erreichung des Gesamtwerkerfolges kann dies kaum verneint werden. Aber auch ohne technische Notwendigkeit kann danach ein Anspruch gegeben sein, wenn nach objektiven Kriterien darin ein Mehrwert für den AG gesehen werden kann. Dennoch wird diese Anspruchsgrundlage auch von Gerichten gerne übersehen oder das Interesse des AG selbst bei technischer Notwendigkeit verneint, insbesondere sobald der AG einwendet, aufgrund der Vergütungspflicht bereits kein Interesse an der Leistung zu haben.
Fazit
Durch den Umstand, dass Gerichte trotz technischer Notwendigkeit der streitigen Leistung im Zuge der schlichten Einwendung, dass der AG an etwas, das mehr koste, grundsätzlich nicht interessiert sei, einen Vergütungsanspruch nach §§ 683, 680 BGB in Verbindung mit § 2 Absatz 8 Nr. 3 VOB/B häufig verneinen, wohnt der Geltendmachung von Werklohnansprüchen auf dieser Grundlage häufig ein gewisses Prozessrisiko inne. Umso erfreulicher ist es, dass nunmehr ein Oberlandesgericht die Begründetheit dieses Anspruches im Falle technischer Notwendigkeit einmal mehr bestätigt und der Bundesgerichtshof die erhobene Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen hat. Das Risiko, dass Gerichte einen Vergütungsanspruch ablehnen, wenn in Ermangelung technischer Notwendigkeit lediglich zur objektiven Nützlichkeit vorgetragen wird, bleibt hingegen unverändert. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass die Gerichte die Vergütungspflicht des AG für eigenmächtig ausgeführten Leistungen, die eine erhebliche Wertsteigerung nach sich ziehen ohne technisch notwendig gewesen zu sein, zuletzt nahezu durchgehend abgelehnt haben (so etwa OLG Köln, Urteil vom 16. Mai 2012 - 11 U 154/11 - Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BGH, Beschluss vom 5. Juni 2014 - VII ZR 166/12).
Autorin: Dr. Wiebke Mund ist seit Juli 2013 für Leinemann Partner als Rechtsanwältin am Standort Hamburg tätig, wo sie Mandanten vorwiegend im Bereich des Privaten Baurechts berät und deren gerichtliche und außergerichtliche Interessenvertretung wahrnimmt. Frau Dr. Mund ist Mitglied im Verein Kieler Doctores Iuris e. V. sowie im Forum Junge Anwaltschaft des Deutschen Anwaltvereins. Sie ist Mitglied der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Hamburg.
von Redaktion
Erschienen in Ausgabe: September 2015 | Seite 7