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Technology Days: Straßenbau-Experten pilgern nach Ludwigshafen
Übernahme der Wirtgen-Gruppe beschert John Deere breitestes Straßenbaumaschinen-Sortiment der Welt
DBU/Ludwigshafen/Berlin – „Wirtgen bleibt Wirtgen. Punkt!“, sagte Domenic G. Ruccolo, CEO (Chief Executive Officer) und Hauptverantwortlicher der Firmengruppe Wirtgen Mitte April in Ludwigshafen. Mit diesen Worten hat der Manager viele Spekulationen zerstoben. Denn Ruccolo steht nicht nur an der Spitze der Wirtgen-Gruppe, er gehört auch zum Führungspersonal des amerikanischen Land- und Baumaschinen-Riesen John Deere, der zum 1. Dezember 2017 den Wirtgen-Konzern übernommen hat. Seither grübelte die Branche darüber, wie die Zukunft der Wirtgen-Gruppe unter dem Konzerndach von John Deere aussieht. Nun stellte Ruccolo klar: „Wirtgen bleibt Wirtgen!“
Konzernlenker Ruccolo war anlässlich der „Road Technology Days 2018“ nach Ludwigshafen gekommen. Die Firmengruppe Wirtgen lädt seit 2007 regelmäßig zu „Technology Days“ ein und nutzt die Veranstaltung, um neuste Technik-Fortschritte und Produktneuheiten zu präsentieren. Die Technology Days, die sich zu ein internationalen Treffen von Branchenexperten entwickelt haben, finden stets in einem Marken-Stammwerk der Wirtgen-Gruppe statt. Am 19. und 20. April war das Straßenfertiger-Unternehmen Josef Vögele AG aus Ludwigshafen Gastgeber der Technology Days und bot ein vielfältiges Event-Programm: Live-Demonstrationen neuer Maschinen-Modelle, anschauliche Ausstellung über neue Technologie für den Straßenbau und Experten-Vorträge über effiziente Arbeitsabläufe auf Baustellen. Zudem hatten die Besucher die einmalige Gelegenheit, auf „eigene Faust“ und mit der Unterstützung eines Audio-Guides das Vögele-Werk zu besichtigen. „Die modernste Straßenfertiger-Fabrik der Welt“, wie Firmenvertreter versichern.
Auf dem 370.000 Quadratmeter großen Werksgelände herrschte reger Andrang. Mehr als 4.000 Kunden und Straßenbauexperten aus aller Welt waren der Einladung nach Ludwigshafen gefolgt – deutlich mehr als bei den vorangegangenen Technology Days im September 2015. Damals war der Asphaltmischanlagen-Hersteller Benninghoven, der seit 2014 Bestandteil der Wirtgen-Gruppe ist, Gastgeber der Technology Days. Am damaligen Stammwerk des Unternehmens in Mülheim, das durch seine Lage an einem Steilhang der Mosel nur begrenzt Platz bot, zählte die Wirtgen-Gruppe mehr als 2.500 internationale Gäste. Doch ein zweites Mal werden die Wirtgen Technology Days nicht in Mülheim gastieren, denn 2016 hat Benninghoven mit dem Bau eines neuen Stammwerkes in Wittlich begonnen, rund zehn Kilometer vom alten Standort entfernt. Laut Firmengruppen-Chef Domenic G. Ruccolo ist das Werksgebäude bereits fertiggestellt, in Kürze soll die Fertigung anlaufen.
Fünf starke Marken
Neben den in Rheinland-Pfalz ansässigen Unternehmen Wirtgen (Straßenfräsen, Gleitschalungsfertiger etc.), Vögele und Benninghoven gehören auch der Walzen-Spezialist Hamm aus dem oberpfälzischen Tirschenreuth und der Brecher-Hersteller Kleemann aus dem baden-württembergischen Göppingen zu den fünf Markenunternehmen der Wirtgen-Gruppe, die zudem ein „starkes globales Vertriebsnetz“ besitzt.
Weltweit beschäftigt die Firmengruppe Wirtgen etwa 8.200 Mitarbeiter und hat zuletzt einen konsolidierten Jahresumsatz von rund drei Milliarden Euro erwirtschaftet.
Für all das hat John Deere den vorherigen Eignern der Wirtgen-Gruppe, Stefan und Jürgen Wirtgen – den Söhnen von Firmengründer Reinhard Wirtgen – rund 4,4 Milliarden Euro gezahlt.
Selbst für den Maschinenriesen John Deere, der aktuell fast 60.500 Mitarbeiter weltweit beschäftigt und im abgelaufenen Jahr einen Umsatz von annähernd 30 Milliarden Dollar erzielt hat, stellte die Übernahme der Wirtgen-Gruppe kein alltägliches Geschäft dar. „Die Wirtgen-Übernahme ist die größte Unternehmensakquisition, die John Deere jemals vorgenommen hat“, sagte Wirtgen-Group-CEO Ruccolo vor Journalisten.
Schwerpunkt Landwirtschaft
John Deere hat seine Geschäftsaktivitäten in drei Unternehmensbereiche gegliedert: „Financial Services (Finanzdienstleistungen)“, „Agriculture & Turf (Landwirtschaft & Landschaftspflege)“ (AT) sowie „Construction & Forestry (Bau & Forstwirtschaft)“ (CF). Das Geschäft mit Finanzdienstleistungen ist mit einem aktuellen Jahresumsatz von weniger als 500 Millionen Dollar mit Abstand der kleinste Unternehmensbereich des John-Deere-Konzerns. Den Löwenanteil seines Umsatzes erzielt der US-Konzern im vergangenen Jahr mit 20,1 Milliarden Dollar im Bereich Landwirtschaft & Landschaftspflege. Der Unternehmensbereich Bau & Forstwirtschaft (CF) steuerte 2017 etwas mehr als 5,7 Milliarden Dollar zum Konzern-Gesamtumsatz bei. Wie Firmengruppen-Chef Ruccolo mitteilte, wird die Wirtgen-Group künftig dem Unternehmensbereich CF zugerechnet.
80 Prozent mehr Umsatz erwartet
Diese Zurechnung beschert dem Unternehmensbereich CF einen außerordentlichen Wachstumsschub: John Deere erwartet, mit diesem Bereich im laufenden Jahr 80 Prozent mehr Umsatz zu erzielen als im Vorjahr. Das dann erstmals vollkonsolidierte Wirtgen-Geschäft solle 56 Prozentpunkte davon beisteuern. Bezogen auf den Gesamtkonzern fällt dieser „Wirtgen-Effekt“ zwar geringer, aber noch immer beachtlich aus: Der Konzern prognostiziert, 2018 rund 29 Prozent mehr Gesamtumsatz zu erlösen als im Jahr 2017; ohne die Übernahme der Wirtgen-Gruppe läge die erwartete Zuwachsrate 12 Prozentpunkte niedriger bei 17 Prozent.
Perfekte Ergänzung
Innerhalb des Unternehmensbereichs CF ergänzen die Produkte der Wirtgen-Gruppe das bestehende Sortiment von John Deere überschneidungslos, da der US-Konzern bislang nur Erdbewegungsmaschinen wie Bagger, Radlader, Dumper, Grader und Bulldozer im Angebot hat. „Obwohl die Wirtgen-Gruppe und John Deere auf dem gleichen Markt aktiv waren, standen sie sich nicht als Konkurrenten gegenüber“, so Wirtgen-Top-Manager Ruccolo.
So konnte sich John Deere durch die Wirtgen-Übernahme „eine Spitzenposition“ unter den Herstellern von Straßenbaumaschinen sichern. Denn der Konzern aus dem Mittleren Westen der USA verfügt nun über das breiteste Angebot an Straßenbaumaschinen auf der ganzen Welt.
Dennoch werde es ein „Totalintegration“ der Wirtgen-Unternehmen in den John-Deere-Konzern nicht geben, wie Domenic G. Ruccolo mehrfach auch gegenüber dieser Zeitung versicherte. „Die Marken bleiben“, sagte Ruccolo und meinte damit die starken Traditions- Qualitätsmarken der Wirtgen-Gruppe: Wirtgen, Vögele, Hamm, Kleemann und Benninghoven. „Der springende Hirsch wird nicht auf Wirtgen-Maschinen geklebt.“
Auch personell sind die Unternehmen der Wirtgen-Gruppe weitegehend unabhängig vom neuen Mutter-Konzern aufgestellt. „Nur sechs Leute sind von John Deere zur Wirtgen-Gruppe gewechselt“, versicherte Ruccolo. Eine dieser sechs Personen sei er selbst.
Das äußerste breite Maschinen-Angebot steht nicht weltweit allen Konzern-Kunden zur Verfügung. Grund hierfür ist, dass sich die Vertriebsstrukturen der Wirtgen-Gruppe stark von denen bei John Deere unterscheiden. „Die Wirtgen-Gruppe ist globaler aufgestellt als John Deere CF“, bemerkte Domenic G. Ruccolo. So ist der John-Deere-Unternehmensbereich CF (Bau & Forstwirtschaft) bislang gar nicht in Europa aktiv. Das Unternehmen hatte sich in den 1990er Jahren aus aus diesem Markt zurückgezogen. „Aber jetzt sind wir zurück!“, so Konzernlenker Ruccolo weiter.
Verwurzelt in der Region
Dass die Wirtgen Technology Days in diesem Jahr in Ludwigshafen bei Vögele stattgefunden haben, kam John Deere gewiss gelegen. Denn der US-Konzern ist rund um Ludwigshafen, in der Region Rhein-Neckar, sehr bekannt und angesehen. Nur wenige Kilometer Luftlinie vom Vögele-Stammwerk entfernt, im kurpfälzischen Mannheim, befindet sich der größte John-Deere-Standort außerhalb der USA. Mit rund 3.000 Mitarbeiter steuert der Konzern von hieraus sein Europa-Geschäft und produziert Traktoren mit Tradition. Denn seit 1956 ist John Deere in Mannheim ansässig. Damals übernahm der US-Konzern den ortsansässigen Traktoren-Spezialisten Heinrich Lanz AG. Das 1859 gegründete Unternehmen zählte seit Jahrhundertwende zu den größten Baumaschinenfabrikanten Europas. Von seinen blau lackierten Ackerschleppern, genannt „Bulldog“, baute das Unternehmen von 1921 bis zur Übernahme mehr als 200.000 Stück gebaut.
Die Traktoren, die heute in Mannheim gelb-grün lackiert vom Produktionsband laufen, sind John-Deere-Maschinen – mit dem „springendem Hirsch“. Die Marke „Lanz“ war 1967, elf Jahre nach der Übernahme, verschwunden.
Erschienen in Ausgabe: Mai 2018| Seite 3 und 5