von Redaktion

Vergaberecht: Reformen statt inhaltsleere Floskeln nötig
Berliner Vergaberechtsexperte Leinemann sieht erhebliche Defizite im Koalitionsvertrag
DBU/Berlin – Der Berliner Vergaberechtsexperte Prof. Dr. Ralf Leinemann sieht erhebliche Defizite im Koalitionsvertrag von Union und SPD. „Obwohl Beschaffungen staatlicher Stellen über hunderte von Milliarden Euro anstehen, finden sich im Koalitionsvertrag zur Beschaffung nur die altbekannten inhaltsleeren Floskeln: Das Vergaberecht sei „zu vereinfachen, zu beschleunigen und zu digitalisieren“. Wie das geschehen soll, wird nicht gesagt. Es ist gar von einem „Pionierfeld für die Deutsche Bahn“ die Rede – dabei kann die Bahn als sogenannter Sektorenauftraggeber ohnehin schon wesentlich vereinfachter beschaffen“, kritisiert Leinemann.
Darüber hinaus werde ein „strategisches Beschaffungsmanagement“ propagiert, was ohnehin im Aufbau ist. „Dass Behörden künftig auf Rahmenverträge, andere öffentlicher Dienststellen und auf zentrale Einkaufsplattformen zurückgreifen sollen, ist sowieso unproblematisch, wenn sie bereits bei der Ausschreibung solcher Rahmenverträge benannt waren“, so Leinemann. Der Fachanwalt für Vergaberecht sieht dringenden Reformbedarf, um schnelle Verbesserungen zu erreichen:
Vergabe von Fach- und Teillosen abschaffen
Das Gebot der Vergabe von Fach- und Teillosen (§ 97 Abs. 4 GWB) gehört jedenfalls für größere Aufträge in der Infrastruktur dringend abgeschafft. Planung und Bau gehören bei Großprojekten in eine Hand, ein großer Generalunternehmer soll die vielen Gewerke koordinieren, weil er das am besten kann. So können große Strecken schnell und professionell „betriebsbereit“ am Stück errichtet werden.
Weg mit dem Formularzirkus
Vergabestellen fordern immer noch zu viele Nachweise, die die Bieter um einen öffentlichen Auftrag mit ihren Angeboten einreichen müssen. Angebote sollten stets ohne Nachweise und Zertifikat eingereicht werden können. Lediglich die beiden bestplatzierten Bieter sollten sie dann auf Anforderung nachreichen. Generell ist § 56 Abs. 3 VgV dahingehend zu ändern, dass insbesondere Unternehmens- und personenbezogene Unterlagen der Bieter stets nachgereicht werden können. Kein Bieter darf ausgeschlossen werden, nur weil er irgendein Formular nicht rechtzeitig eingereicht hat. Das ist aber heute an der Tagesordnung.
Vergabehandbücher entschlacken
Die gewaltig aufgeblähten Vergabehandbücher des Bundes gehören entschlackt und entweder abgeschafft oder auf maximal die Hälfte ihres Umfangs reduziert. Dutzende Formulare gehören in den Papierkorb.
Rechtsschutz stärken
Als einzige konkrete Maßnahme nennt der Koalitionsvertrag, dass der Rechtschutz für Bieter im Vergabenachprüfungsverfahren eingeschränkt wird. Hat ein Bieter, der gegen eine fehlerhafte Auftragsvergabe vorgeht, vor der Vergabekammer in erster Instanz verloren, soll seine Beschwerde zum Oberlandesgericht keine aufschiebende Wirkung mehr haben. Der Auftrag wird trotz eingelegter Rechtsmittel an einen anderen Bieter erteilt, auch wenn das rechtswidrig wäre. Das führt aber nur dazu, dass Vergabestellen scheinbar risikolos den falschen, meist den teureren Bieter beauftragen werden. Dabei wird übersehen, dass der übergangene Bieter später Schadensersatz geltend machen kann. Er muss nur darlegen, dass bei korrekter Vergabe der Auftrag an ihn hätte gehen müssen. Die bisher niedrige Zahl der Schadensersatzklagen gegen öffentliche Vergabestellen wird nach Einführung der beabsichtigten Regelung drastisch zunehmen.
Nachprüfungsverfahren beschleunigen
Die Nachprüfungsverfahren gegen beabsichtigte Auftragsvergaben können rechtsstaatlich leicht beschleunigt werden: Die Vergabekammern sollten eine feste, nicht verlängerbare Entscheidungsfrist von maximal sieben Wochen erhalten. Viele Vergabekammern sind heute mit langen Bearbeitungszeiten die Hauptursache für Verzögerungen der Auftragsvergabe. Wird diese Frist überschritten, könnte die Nachprüfung als erfolgreich fingiert werden. In der Beschwerdeinstanz beim OLG sollte die aufschiebende Wirkung stets bestehen, es sei denn, dass OLG hebt sie auf Antrag des Auftraggebers auf. So können Querulanten und unberechtigte Verfahren gut und schnell aufgefangen werden.
Landesvergabegesetze abschaffen
Die Landesvergabegesetze gehören endlich abgeschafft. Sie sind schon seit Einführung des bundesweiten Mindestlohns überflüssig geworden. Stattdessen hat jedes Bundesland nun seinen eigenen, länderspezifischen Mindestlohn. Er gilt allerdings nur in diesem Bundesland und nur für Landesaufträge. Das Resultat ist eine teilweise bizarre Bürokratie der Länder. In jedem Bundesland gilt ein anderer Mindestlohn und immer noch ein paar eigene Zusatzformulare. Wenn das nicht alles mit dem Angebot belegt wird, droht der Ausschluss vom Wettbewerb, auch wenn es schon im Nachbarland niemanden mehr interessiert. Künftig sollte der bundesweite Mindestlohn eingehalten werden, das reicht.
Kosmetik reicht nicht aus
Am Ende bleibt es bei der Ankündigung, dass auf Bundesebene die Wertgrenzen für kleine Direktaufträge etwas erhöht werden: auf 50.000 Euro für direkte Aufträge bei Liefer- und Dienstleistungen und für Startups mit innovativen Leistungen in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung auf 100.000 Euro. Das ist nicht mehr als Kosmetik.
Regulierungswildwuchs endlich beenden!
Das gewaltige Investitionsprogramm für Verteidigung und Infrastruktur kann von den bestehenden Beschaffungsstrukturen des Bundes und der Länder nicht bewältigt werden. Hier bedarf es beherzter Eingriffe in den Regulierungswildwuchs. Wenn die Angebote nicht vereinfacht und die Anforderungen nicht heruntergeschraubt werden, kann die Beschaffungsbürokratie ein gravierendes Hindernis in der Umsetzung der Investitionsprogramme werden. Der Koalitionsvertrag zeigt bisher keine Wege auf.
Bild: Pressekonferenz zum Koalitionsvertrag der Parteichefs nach den Verhandlungen. v.l.: Markus Söder, CSU-Vorsitzender und Ministerpräsident von Bayern, der CDU-Vorsitzende und Kanzler in spe Friedrich Merz sowie die Bundesvorsitzenden der SPD, Lars Klingbeil und Saskia Esken. (Screenshot: Bayerischer Rundfunk BR24)
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