Nutzfahrzeuge - von Redaktion
Zehn Unternehmen testen die eActros-Innovations-Flotte
Bis zu 200 Kilometer Reichweite mit gewohnter Fahrleistung und Nutzlast
Stuttgart – Mercedes-Benz Trucks war 2016 der weltweit erste Hersteller mit einem schweren Elektro-LKW. Seit Jahresbeginn geht der Technologieführer konsequent den nächsten Schritt: Mit dem eActros schickt Mercedes-Benz seinen Elektro-Lkw im Kundeneinsatz auf die Straße. Zehn Fahrzeuge in zwei Varianten mit 18 beziehungsweise 25 Tonnen Gesamtgewicht wurden an Kunden, geliefert, die die Alltagstauglichkeit und Wirtschaftlichkeit der Fahrzeuge unter realen Bedingungen testen. Langfristiges Ziel: lokal emissionsfreies, leises Fahren in Städten mit Serien-Lkws.
Bereits auf der Nutzfahrzeug IAA 2016 in Hannover zeigte Mercedes-Benz das Konzeptfahrzeug eines schweren elektrischen Verteiler-Lkw für den urbanen Raum. Die Resonanz auf die technische Machbarkeit eines solchen Fahrzeugs war durchweg positiv – von Öffentlichkeit, Politik und auch Kunden. Allein in Deutschland gab es rund 150 sehr konkrete Anfragen.
Ein interdisziplinäres Team von Daimler Trucks konzipierte, unter Nutzung Daimler-weiten Know-hows, ein Fahrzeug, das den Einsatz im Alltagsbetrieb meistern und in geringer Stückzahl bereits dieses Jahr in Kundenhand übergeben werden konnte. Dabei gibt es noch etliche technische und vor allem auch betriebswirtschaftliche Fragen zu lösen, allen voran die Reichweite und Kosten der Batterien, aber auch die notwendige Infrastruktur für den Einsatz in den gewerblichen Flotten der Kunden.
Martin Daum, im Vorstand der Daimler AG verantwortlich für Daimler Trucks and Buses, erläutert: „Daimler Trucks steht für Innovations-Führerschaft gepaart mit Realismus und Pragmatismus. Das gilt gerade auch für die Elektromobilität. Gemeinsam mit unseren Kunden wollen wir unseren Mercedes-Benz eActros nun zügig so weiterentwickeln, dass er dem harten Betriebsalltag entspricht – technisch und wirtschaftlich. Deshalb bauen wir zunächst eine Innovationsflotte auf und begleiten die Erprobung im Logistikalltag unserer Kunden. Hieraus können wir dann ableiten, was in puncto Technik, Infrastruktur und Service noch zu tun ist, um unseren Mercedes-Benz eActros wettbewerbsfähig zu machen.“
„Mit dem Mercedes-Benz eActros geben wir jetzt einen schweren Elektro-LKW als Zwei- und Dreiachser in Kundenhand. Zunächst steht dabei der innerstädtische Waren- und Lieferverkehr im Fokus – die hier benötigten Reichweiten kann unser Mercedes-Benz eActros sehr gut abdecken“, ergänzt Stefan Buchner, Leiter Mercedes-Benz Lkw.
„Wir haben ein Fahrzeug entwickelt, das komplett auf Elektromobilität ausgelegt ist. Im Vergleich zu unserem Prototyp ist technisch einiges passiert: Insgesamt elf Batteriepakete sichern nun die Stromversorgung – und soweit es möglich war, verwenden wir serienreife bzw. seriennahe Teile, die sich bereits bewährt haben“, so Stefan Buchner. An dem Flottentest nehmen zehn Kunden aus unterschiedlichen Branchen in Deutschland und der Schweiz teil. Die Unternehmen sind:
• Dachser, Edeka, Hermes, Kraftverkehr Nagel, Ludwig Meyer, pfenning logistics, TBS Rhein-Neckar und Rigterink aus Deutschland
• Camion Transport und Migros aus der Schweiz
Diese Kunden verteilen Waren im Stadtverkehr – aber in völlig unterschiedlichen Branchen und Kategorien.
Transporte von Lebensmitteln bis hin zu Bau- und Werkstoffen
Die Palette reicht von Lebensmitteln bis hin zu Bau- und Werkstoffen. Die Fahrzeuge werden bei allen Kunden für Aufgaben eingesetzt, die sonst mit konventionellen Dieselantrieben erledigt werden. Aufgrund der verschiedenen Anforderungen tragen die Fahrzeuge unterschiedliche Aufbauten. Je nach Bedarf sind Kühlkoffer, Trockenkoffer, Silo oder Plane im Einsatz.
Die Fahrer der eActros werden speziell auf das Fahrzeug geschult. Die Pilotkunden testen die Fahrzeuge im Realbetrieb für zwölf Monate, dann gehen die Lkw für noch einmal zwölf Monate an eine zweite Runde von Kunden. „So können wir den vielen Kundenanfragen gerecht werden und noch mehr Erkenntnisse gewinnen“, so Stefan Buchner. „Unser Ziel ist, die Serien- und Marktreife wirtschaftlich konkurrenzfähiger Elektro-Lkw für den innerstädtischen schweren Verteilerverkehr ab 2021 realisieren zu können.“
Beim eActros wird der Rahmen des Actros als Basis genutzt. Darüber hinaus handelt es sich aber um eine vollständig auf Elektroantrieb ausgerichtete Architektur mit hohem Anteil spezifischer Teile. So basiert beispielsweise die Antriebsachse auf dem Typ ZF AVE 130, der sich als Niederflur-Portalachse in Hybrid- und Brennstoffzellen-Omnibussen von Mercedes-Benz bewährt hat und nun für den eActros wesentlich überarbeitet wird.
Der Achskörper ist komplett neu konzipiert und liegt deutlich höher, was die Bodenfreiheit auf mehr als 200 Millimeter vergrößert. Der Antrieb erfolgt dabei über zwei Elektromotoren nahe den Radnaben der Hinterachse. Diese Dreiphasen-Asynchronmotoren sind flüssigkeitsgekühlt und arbeiten mit einer Nennspannung von 400 Volt. Ihre Leistung beläuft sich auf jeweils 125 Kilowatt, das maximale Drehmoment auf jeweils 485 Newtonmeter. Nach der Übersetzung werden daraus jeweils 11.000 Newtonmeter. Die Fahrleistung ist damit der eines Diesel-LKW ebenbürtig.
Die maximal zulässige Achslast liegt bei den üblichen 11,5 Tonnen. Die Energie für bis zu 200 Kilometer Reichweite kommt aus Lithium-Ionen-Batterien mit 240 Kilowattstunden. Sie haben sich bereits bei der EvoBus GmbH bewährt – sind also keine Prototypen mehr.
„Durch diese Synergien im Konzern können wir Erfahrungen teilen, Entwicklungszeiten verkürzen und natürlich auch Kosten sparen“, so Stefan Buchner. Die Batterien sind in insgesamt elf Paketen verbaut: Drei befinden sich im Bereich des Rahmens, die anderen acht unterhalb. Zur Sicherheit sind die Batteriepakete von Stahlgehäusen geschützt. Im Fall eines Aufpralls geben die Halterungen nach, verformen sich und leiten so die Energie an den Batterien vorbei ohne sie zu beschädigen.
Die Hochvolt-Batterien speisen nicht nur den Antrieb, sondern das komplette Fahrzeug mit Energie. So werden beispielsweise Nebenaggregate wie der Druckluftkompressor der Bremsanlage, die Lenkhelfpumpe für die Servo-Unterstützung der Lenkung, der Kompressor der Fahrerhaus-Klimaanlage und ggf. der Kühlaufbau ebenfalls elektrisch betrieben. Leere Batterien lassen sich bei einer realistischen Stationsleistung von mobilen Ladegeräten im Fuhrpark von 20 bis 80 Kilowatt innerhalb von drei bis elf Stunden vollständig aufladen.
Ladestandard ist das Combined Charging System CCS. Das LV-Bordnetz mit zwei herkömmlichen 12-Volt-Batterien wird mithilfe eines DC/DC-Wandlers aus den Hochvolt-Batterien geladen. So können bei Ausfall oder Abschalten des Hochvolt-Netzes alle relevanten Fahrzeugfunktionen wie Licht, Blinker, Brems- und Luftfedersysteme sowie die Fahrerhaussysteme aufrechterhalten werden. Das Hochvolt-Netz lässt sich nur starten, wenn die beiden LV(Niederspannungs)-Batterien geladen sind.
Bundesministerien fördern nachhaltige Weiterentwicklung
Die Entwicklung und Erprobung der schweren Elektro-LKW im Verteilverkehr erfolgt über das Projekt „Concept ELV²“, das zu verschiedenen Teilen vom Bundesumweltministerium (BMUB) und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) mit rund zehn Millionen Euro gefördert wird. Teil des Fördervorhabens ist die Untersuchung komplexer Herausforderungen bei Entwicklung, Aufbau und Betrieb von Elektro-Lkw.
Die Kunden-Innovationsflotte ist mindestens bis Mitte 2020 im Einsatz. Sie soll unter anderem den Energiebedarf nach Einsatzszenarien und die Wirtschaftlichkeit der Elektro-Lkws ermitteln sowie in einer Öko-Bilanzierung die Umwelt-performance der Elektro-LKW mit Diesel-Trucks über den gesamten Lebenszyklus vergleichen. Die Forschungserkenntnisse fließen noch während der Tests in Optimierungen der Fahrzeuge ein, die Ergebnisse werden publiziert.
von Redaktion
Erschienen in Ausgabe: Mai 2018| Seite 29